Randnotiz zum zweiten Todestag im Mai

Ohne große Mühe

– ohne große mühe

erblicken meine Augen

am absatz der ersten stufe

hinauf zur tür, die einst zu dir gehörte

und nun

mich täglich begrenzt

zwischen der welt draußen

und der welt aller intimität hinter den fenstern,

die weiterhin ohne Gardinen ihr Licht nach innen tragen.

 

 

– am absatz der ersten stufe

hinauf zur tür, die einst zu dir gehörte

und nun

sich mir täglich öffnet und schließt,

erblicken meine Augen

ohne große mühe

Vergiss-mein-nicht

 

 

sich selbst gesät

ohne mühe

blüht es

beharrlich

ohne Aufwind

ohne Plan

verwehter Trost,

der unsichtbar auf den zarten Blättern

sich selbstlos zu mir ins Augenlicht gesellt.

 

 

Auf Zehenspitzen ertaste ich

den Boden, den ich täglich

übergehe,

um mich fast lautlos

neben das unverhoffte Glück zu setzen.

 

 

Auf der ersten stufe,

hinauf zur tür, die einst zu dir gehörte

und nun

meine Augen zufällig

über das Vergiss-mein-nicht

fielen, ruhe ich.

Horche auf das Rauschen,

was sich verteilt zwischen Welt und mir.

 

 

Auf der ersten stufe,

hinauf zur tür, rufe ich

und nun

ich bin jetzt hier; und du?

warst mal neben mir.

 

Was bleibt?

antwortet es aus den Stängeln,

deren grün in der Dunkelheit der Nacht verschwindet.

Direkt in einer geraden Linie oberhalb der ersten stufe,

hinauf zur Tür,

reihen sich Sterne ein

in meine Blickrichtung,

die den roten Faden im Auge behält.

 

Was bleibt?

Hallt das Echo

ins Gewissen.

 

Vergiss-mein-nicht

starrt/glotzt/geifert/blinkt

mir frech mitten ins Gesicht.

 

aus sich heraus gestreut;

ohne mühe,

was bleibt,

ist geblieben.

Was geblieben ist, das bleibt.

Ohne mühe

warst du neben mir

ohne mühe

bei angst erreichbar/ im streit präsent/durch Museen gepirscht/im garten gewütet/herzen verschenkt/Linien verbunden/ Seelen getragen/ schmerzen erduldet/ belesen mit sinnen/schlangen versöhnt/Dämonen besänftigt/getanzt/gesungen/vergeben/geweint/ arme geöffnet/Tür nie verschlossen/ bereit zum Absprung/ohne Arzt und Apotheker/gewagt mit allen Risiken/ beharrlich getrotzt/ schön im Kleid mit roten Lippen / schön mit blue jeans und cowboy-hut/männlich/weiblich/jean und jeanne/stets Benzin im tank/vorbereitet für die flucht/ Katzen betrauert/Geliebte begraben/Hund behütet/geboren im Krieg ohne Halt/ weise gelebt/wild geliebt/tusche aufgebraucht/Pinsel aufs Papier geworfen/kreise geschlossen/neu aufgebrochen/Lehm geformt/sich getraut, immer wieder aufzuwachen/gelacht/glas zerbrochen/geschnitten/geflickt/Medizin gesammelt/Herzschmerz geröntgt/Salbei geweiht/Trost verteilt/den kleinen jungen an meiner Schulter beweint/und wieder gesungen, gelacht und getanzt/auf den Flügeln von Krähen/erbittert verziehen/gewürdigt den schatten/eingetaucht ins licht/Landschaften beseelt/Fremde bezogen/Dörfer belebt/

erinnerst du dich?/eine junge frau mit Hund und dein rotes, lebendiges herz in meinen Händen,

– in der schale meiner Handflächen wohnt es ohne mühe –

es bleibt, was geblieben ist.

ohne mühe

wage ich den Absprung

Tank immer gefüllt

stets bereit zur Flucht

nehme Abschied an die Hand

lasse fliegen

dein Herz

 

ich bin bereit.

Mit der Gewissheit

nichts bleibt,

was nicht wie von selbst – ohne große Mühe – geblieben ist.

Vergiss-mein-Nicht

erinnert mich.