leer
wie ausgelaufene tinte
die sich durch die betonritzen
ihren weg ebnet
es ist windstill!
bernsteinfrau
samstag, 04.04.2015
Karfreitag und darüber hinaus .,..
Ich bediente mich früh (bereits in der Grundschule, wie alle anderen auch) dem Schreiben, um meiner Emotionalität und Gefühlswelt einen Ausdruck zu verleihen, den es im familiären Kontext in seiner Sensibilität und Geduld, der es für mich bedurft hätte, nicht gab. Die Ursachen für das Fehlen von emotionaler und empathischer Fürsorge sind sehr vielfältig und aus meiner Sicht nicht ungewöhnlicher als in anderen Familien, die Umbrüche, sozialen Abstieg und Entfremdung erleiden.
Das Malen trat später in mein Leben. In der Pubertät nutzte ich beides – Schreiben und Malen. Manchmal zog ich das Schreiben vor, weil ich hier zu einer größeren Klarheit und Transparenz neige – während das Malen – wie wohl so oft bei vielen Menschen – sehr einem Perfektionismus unterlag, im Sinne einer wenig hinterfragten, teilweise kleinbürgerlichen Ästhetik. Meine Mutter ist Anhängerin vom Sammeln von Porzellangänsen, Engeln aus dem Erzgebirge und diversen Schmuckgegenständen, die regungslos auf Abstellflächen von Anbauschrankwänden ihr Leben tristen. Der gedeckte Kaffeetisch musste meist ohne menschliche Begleitung auf Fotos festgehalten werden und an den Wänden hingen eher Bilder, die eine Untermalung jener Atmosphäre von scheinbarer Behaglichkeit und widerspruchsfreier Eindeutigkeit sein sollten. Während mein Vater in diesen Gestaltungsbereichen weniger Raum einnahm, obwohl hier und da sichtbar war, dass er zur See gefahren ist. Ich scheiterte an einer sogenannten wahrheitsgetreuen Abbildung der Realität, weil es mich langweilte und zu viel Verbissenheit kostete, was ich nie im Malprozess leisten wollte.
In meinem Herzen schlagen viele Seelen. Ich gehe von der Multiplizität des Selbst aus. Ich schreibe über meine Herkunft, Familie und Erlebnisse, um verständlich zu sein und etwas aufzuzeigen, was aus meiner Sicht exemplarisch für andere Menschen sein kann und mir selbst den Weg weist, den ich einerseits bereits abgelaufen bin und andererseits vor mir liegt.
Ich mag und verabscheue Kleinbürgerlichkeit. Und gerade deshalb fühle ich mich mit meiner Heimat, Familie und Herkunft sehr verbunden. Ich habe keinen Grund mit irgendetwas abzurechnen und Türen endgültig zu schließen.
Meine Familie ist meine Familie und denen fühle ich mich zugehörig – selbst in der Entfernung und Entfremdung. Ich habe das Glück, teilweise Antworten auf Fragen zu erhalten. Mein Großvater mütterlicherseits hat zwei Weltkriege erlebt und verantwortliche Funktionen eingenommen.Während der Großvater väterlicherseits für den Aufbau des sozialistischen System und die Umsetzung des Kommunismus kämpfte, damit aus seiner Perspektive die Gräueltaten des Nazi-Regimes sich nicht wiederholen. Der Glaube an eine Idee, Utopie und Vorstellung gehört trotz der Abwesenheit von Religion und Religiosität gewissermaßen zur Familientradition. Mein Vater, der sich weigerte in die „Partei“-fussstampfen seines Vaters zu treten und keinen Fuß nach dem Mauerfall fassen konnte.
Ich fühlte eine Form von Verpflichtung mich der Situation von DDR-Schriftsteller und das Verhältnis von Öffentlichkeit in der DDR als Diplomarbeit in der Soziologie anzunehmen.
Ich sah meine Eltern scheitern in einer Zeit, wo ich (und mein Bruder) selbst viel Orientierung nötig gehabt hätten. Ich versuchte mich sehr früh, der depressiven Stimmung, der Mutlosigkeit und Enttäuschung zu entziehen – vermutlich hier auch mit Überhöhung von Hoffnung, Zukunftsorientierung und Idealisierung von Menschen außerhalb des Familiensystems – weil mir klar war – ich muss weiterziehen. Für mich gibt es nicht Ost versus West und paradoxerweise habe ich all die Vorurteile und Stigmatisierungen verinnerlicht. Ich lernte theoretisch soziale Ungleichheit kennen, ohne ein Bewusstsein zu haben, dass es mich betraf in Form von Ausgrenzung, Chancenungleichheit und relativer Armut.
Darüber hinaus als Frau, deren Begehren nie eindeutig auf das männliche Geschlecht konzentriert war, sozialisiert zu sein – musste zwangsläufig auch hier die Auseinandersetzung, das Hinterfragen, innere Spiegeln und die Positionierung im Außen erfolgen.
Mich störte zunehmend die Kluft zwischen Theorie und Praxis. Zu Beginn meines beruflichen Lebens hatte ich ein Vorstellungsgespräch bei der Schering AG in Berlin. Ich spüre noch heute mein eigenes Verblüfft-sein, dass ein Unternehmen mich einlud, um mich selbst zu präsentieren. Ich war damals so erleichtert über mein Scheitern. Ich bin es noch heute …
Bereits als ich das Gebäude in Berlin betrat, wurde mir schlecht. Ich zog sogar einen Job im Call Center über eine Zeitarbeitsfirma vor, um den Gang – den ich von meinen Eltern sehr gut kannte – zum Arbeitsamt zu vermeiden.
2009 wechselte ich die Stadt und zog 500 Kilometer in die Ferne. Mir ging es in der Heimat mittlerweile sehr gut. Ich war etabliert und auf dem besten Weg mich beruflich im sozialen und frauenspezifischen Bereich weiter zu profilieren.
Dies unterscheidet mich. Ich gehörte zu denen, die sehr wohl über Gestaltungsräume verfügten. Wohl viel mehr – als in Großstädten, wo es solche Menschen mit viel größeren Spielräumen in den Bereichen von finanziellen Ressourcen, Kontakten , Talenten und Bildung (als ich sie je genossen habe) wie Sand am Meer gibt.
In der Fremde* musste ich mich zunächst daran gewöhnen, eher Außenseiter_in zu sein. Ich fühle eine stärkere Nähe und Verbundenheit zu Freund_innen, deren Eltern beispielsweise in Bulgarien leben. Ich bin gespalten, wenn ich an Wolf Biermann denke. Ich gehöre einer anderen Generation an und kämpfe mit Entwurzelung, einer Sehnsucht nach Heimat, Zugehörigkeit und Loyalität – in einer Epoche, wo mir als deutsche Staatsbürgerin und Inhaberin solch eines Reisepasses die ganze Welt offen steht.
Ich liebe die Großstadt, die Fragen nach Mehrheit und Minderheit zunehmend überflüssig erscheinen lässt, während Fragen nach sozialer Ungleichheit, Ausgrenzung und Armut immer drängender werden.
Ich habe selbst abgespalten auf verschiedenen Ebenen, um zunächst erst mal am neuen Ort ankommen zu können. So ist es jetzt an der Zeit, meinen bereits gegangenen Weg zu beschreiben. Ich klage nicht an. Ich bin dankbar und weiß um meine Privilegien und Ressourcen. Ich bin zufrieden, mich bewusst gegen bestimmte berufliche Stationen entschieden zu haben. Im Gegenzug darf ich erleben, wie es tatsächlich im Arbeitsalltag funktionieren kann in der Anerkennung und Wertschätzung von Unterschieden und Vielfältigkeit von Lebensverläufen.
Und auf dieser Basis erfolgt für mich die Beschreibung und all die Erinnerungen, die ich festhalten möchte, mit meiner eigenen Herkunft und Familie – selbst wenn manchmal Wut, Zorn und Ärger sich einmischen.
Der Mensch ist komplex und widersprüchlich. Spannungen sind Ambivalenzen, aus denen ich lerne. Ich sehe mich nicht als isoliert von anderen – selbst wenn ich sehr häufig aus meiner erlebten Perspektive berichte. Ich nutze die Ich-Perspektive, um Raum zu lassen für das Individuelle und Künstlerische und um weder das Soziologische noch das Psychologische gegeneinander auszuspielen.
Ich mache Fehler, und Scheitern als eine unausweichliche Konsequenz ist ein integraler Bestandteil des Alltags und gehört nicht in die Verbannung und verhindert, einem entmenschlichten Dogmatismus zu erliegen.
Meine Spurensuche ist nicht mehr oder weniger wichtig als die Spurensuche von anderen Menschen. Ich erinnere mich sehr genau, als wir im grünen Trabi im November 1989 die Grenze von Marienborn passierten. Die Freude und Euphorie und Sprachlosigkeit und ich erinnere mich an die tiefe Enttäuschung, Ernüchterung und Mutlosigkeit, die danach einsetze und eine andere Form von Sprachlosigkeit sich auf dem Sofa breit machte.
Spuren, Erinnerungen und Gefühle integrieren und vereinen – selbst wenn es auf den ersten Blick schier unüberwindbar widersprüchlich und in sich auflösend wirkt.
Grundsätzliches beim Schreiben über sexualisierte Gewalt und Gewalt (insbesondere gegen Frauen) …
Sexualität ist meiner Auffassung nach in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Tabu. Sexualität, Sinnlichkeit und Begehren trenne ich streng von sexualisierte Gewalt und Sexismus, was mir sehr notwendig scheint. Es ist kein Geheimnis, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur eine kleine Gruppe von Menschen betrifft. Für Frauen ist eher der häusliche, familiäre Bereich und in anderen sozialen Kontexten (Arbeitsplatz u.a.) eine Gefahrenzone, während Gewalt im öffentlichen Raum weniger geschlechtsspezifisch scheint (wobei ich keine konkreten Zahlen kenne und nennen kann).
Rassismus, Homophobie, Transphobie, Sexismus gehören ebenso in diesen Bereich von Gewalt. Der Begriff Gewalt kann verschiedene Facetten umfassen und den Begriff von Macht und Herrschaft einschließen.
Ich bin müde, was die theoretische und soziologische Ebene von Gewalt betrifft. Ebenso habe ich wenig Interesse an Fallberichten (die sicherlich sehr notwendig sind, um das Thema weiterhin aus der Grauzone zu holen) – mir sind Empowerment und das Auflösen von starren Täter_innen und Opfer*-Dynamiken wesentlich wichtiger und ein weitaus größeres Anliegen. So dass hier Doing und Undoing gender und das Hinterfragen von Männlichkeits- und Weiblichskeitsbilder/konstruktionen mir relevanter erscheinen als das Reproduzieren von Stereotype. Zudem – wenngleich dies zu selten in öffentlichen Diskussionen Erwähnung findet – häusliche Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen scheint (sofern es Zahlen darüber gibt) ebenso so häufig vorzukommen wie in heterosexuellen Beziehungen.(vgl.:http://www.broken-rainbow.de/material/BR_Bundeserhebung_02_04.pdf)
Um der Kluft zwischen Theorie und Praxis wenig Raum zu lassen, bedarf es der eigene biografische Auseinandersetzung. Verantwortung für das eigene Handeln und Gefühle übernehmen und den Fokus auf Stärkung von Ressourcen lenken und weniger die defizitäre Brille aufsetzen, die eher zu Schwarz-Weiß-Malerei tendiert. Zusätzlich bemerke ich, insofern sich immer mehr Begrifflichkeiten (wie (Cyber)Mobbing, Stalking, übergriffig u.a.) im alltäglichen Sprachgebrauch etablieren, um so weniger scheinen Fragen um Konfliktverhalten, Veränderungsprozesse durch persönliche Krisen und das Aushalten von unterschiedlichen Meinungen, Positionen und Werten eine Rolle zu spielen. Sich streiten, miteinander auseinandersetzen, anderen seine Meinung zumuten und Spannungen riskieren – und nicht immer die gleiche Haltung zu teilen und trotzdem in Kontakt und Beziehung zu bleiben – geräten in den Hintergrund. Während soziale Erwünschtheit und das vorab Assoziieren, was mein Gegenüber wohlwollend aufnimmt – scheinen dadurch ein höheren Stellenwert zu gewinnen. Anstatt den gesellschaftlichen Blick für menschenverachtende Aktionen, Darstellungen und Verhaltensweisen zu schärfen und Zivilcourage zu stärken.
Literaturtipps:
http://maedchenmannschaft.net/
Ich besuchte eine Veranstaltung des Frauenfilmfestivals. Luise Reddemann (http://www.luise-reddemann.de/home/) saß im Podium und erzählte erfrischend, dass sie komplett auf Tagesschau im Privaten verzichtet. Manchmal bietet ihr der Arbeitsalltag genügend Einblick in das Weltgeschehen.
Bilder können für traumatisierte Menschen eine Zumutung und Trigger für Flashbacks sein. Dies möchte ich eher vermeiden. Es gibt genug davon.
Trotzdem will ich den Film „Festung“ empfehlen. Die Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen (http://de.wikipedia.org/wiki/Kirsi_Marie_Liimatainen) war mit Luise Reedemann im Podium, erzählte authentisch über das Entstehen des Films und welch sensibler Umgang ihr bei der Umsetzung des Drehbuchs wichtig war. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Der Film lässt Gewaltszenen erahnen und traut sich den Blick durch die Augen der Töchter, die als Teil der Gewaltdynamik schon früh eine große Last tragen müssen und sich manchmal so über Generationen hinweg Gewalt fortsetzen kann. Um so wichtiger ist es den Blick auf Empowerment und die Stärkung von Ressourcen zu richten. Damit es hier und da vielleicht gelingt die Spirale von häuslicher Gewalt nachhaltig zu durchbrechen.
Bedingt durch das Studium der Soziologie, Wahlfach Philosophie, Auseinandersetzung mit Gewaltfreier Kommunikation (M. Rosenberg), Mediation und diversen anderen Handwerkszeug, (Re)Traumatisierung und Flucht, Homophobie & Transphobie & Rassismus, (Re)Traumatisierung durch unsicheren Aufenthaltsstatus v.m. – unterliege ich hier selbst einem sich stets wandelnden Prozess – was Gewalt (immer im Zusammenhang mit Macht und strukturellen wie auch gesellschaftlichen Rahmenbedingungen), Grenzverletzung und grenzüberschreitendes Verhalten in Abgrenzung zum Verhalten in Konflikten, meiner eigenen Biografie und persönlichen Erfahrungen und verinnerlichten Stigmatisierungen, Vorurteilen und Ängsten bedeutet – hier wird es wohl vor allem in der Interaktion mit anderen Menschen immer wieder neue Aspekte, Überraschungen und Wendungen geben – einfach weil das Leben nicht berechenbar ist –
so schlagen in meinem Herzen viele Seelen und es genügt, wenn ich beim Schreiben dem Künstlerischem* den Vortritt lasse, mich nicht zwingen es in Form zu bringen – sondern den fließenden Übergängen und leisen Momenten meine Aufmerksamkeit schenke, was ebenso die Begegnung mit den eigenen (selbst)zerstörerischen Energien, Wunden und Gefühlen von Trauer, Verlassensein und Einsamkeit einschließt – es liegt in meiner Hand und in meiner Entscheidung, wie ich es kreativ umsetze, um möglichst einen lebensbejahenden Kreislauf darzustellen trotz Hürden, Hindernissen und Hemmungen …
…. und so grundsätzlich wollte ich mir heute mal Zeit für diese grundsätzlich Randnotiz nehmen, die (wenn auch nicht immer sofort sichtbar und greifbar) den schöpferischen Prozess beeinflusst, verändert und (weiter)entwickelt …
Donnerstag, 02.04.2015
Zurzeit lese ich jeden Tag in einem Buch und manchmal sind es sogar verschiedene Bücher – zusätzlich griff ich zu nach zwei Romanen, die ein wenig warten müssen.
Heute beschäftigt mich wieder das das Drama um hochbegabte Frauen* (ich verwende hier bewusst genderbezogene Pronomen und Bezeichnungen, um Unterschiede sichtbar zu machen, damit ein Hinterfragen und die Suche nach Alternativen und Dekonstruktion möglicher werden). Schon wenn ich den Satz aufschreibe, machen sich Abwehr und eigene Abwertungsmechanismen bemerkbar. Im Herbst des Jahres 2013 hatte ich beschlossen, ich brauche dringend ein Coaching, um wieder etwas mehr Licht in meinen beruflichen Weg zu bringen.
Es ist interessant, wie ich mich selbst täusche. Ich (be)nutze spezifische professionelle Haltung und Erfahrung, um mir selbst eine Form von Nützlichkeit und Berechtigung zu erlauben, die allerdings mit reinem Denken und Reflektieren gar nicht fassbar werden können. Hinter diesem hochgesteckten Ziel stand vielmehr der Wunsch, endlich das Schreiben als einen festen Bestandteil meines Lebens anzuerkennen, zu integrieren und den Mut zu finden, dies offenherzig nach außen zu tragen.
Schon in der ersten Coachingstunde sprach ich über das Verhältnis zu meinen Eltern, so dass „Coaching“ an dieser Stelle lediglich als Brücke zu meinem therapeutischen Prozess, der längst überfällig war, sich schnell wandelte und das berufliche Ziel als eine grundsätzliche Suche nach Sinn enttarnte. Je tiefer ich in diesen Prozess einsteigen, umso mehr wächst in mir die Befürchtung ein eher zurückgezogenes Leben zu führen. Andererseits strafe ich diesen Gedanken als lächerlich ab – es verdeckt die Scham. Und zeigt nur den Teil, der sich ans Licht traut, weil es wohl eher höfliches Mitleid auslöst und weniger Widerstand und Konfrontation mit anderen bedeutet. Grabe ich nämlich tiefer, entdecke ich Stolz und eine Form von Befriedigung, die sich einstellt, wenn ich jeden Tag in Windeseile Silben und Worte aneinanderreihe mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, die mich manchmal ein wenig überrascht.
Trotzdem nagt die Unzufriedenheit bzw. die Vorstellung Ungenügend zu sein wütet – das Lesen, Schreiben, die innere Auseinandersetzung sind isolierte Tätigkeiten, die einerseits Zeit in Anspruch nehmen und andererseits Entscheidungen nach Prioritäten im alltäglichen Leben bedürfen. Das Unbehagen bezieht sich auf den fehlenden Familien- und Beziehungsstatus und Fragen nach Austausch und Abkehr von erlernten/verinnerlichten Beziehungsformen, die als Spiegel durch weibliche* Sozialisation an mir kleben – den übertragenden Ansprüchen nicht genügen und dafür einen Preis zu zahlen, den ich vielleicht (noch) nicht bereit bin in Kauf zu nehmen. Oder versteckt sich dahinter mehr der Wunsch nach Bestätigung und Bestärkung durch andere, die dich antreiben, weil es plötzlich wieder Sinn macht, Worte aufs Papier zu bringen?
In der Schulzeit nahm ich an Schreibwerkstätten teil. Ich wurde sogar bevorzugt. Ich hatte es in Gruppen schwer, mich laut zu zeigen. Der Schriftsteller Heinz Kruschel hat mich begleitet. Er schrieb mir Briefe, ermutigte mich und bemühte sich mein Talent für mich selbst sichtbar zu machen. Früh las ich Texte zu den Landesliteraturtagen in Sachsen-Anhalt. Ich traute mich allein, ohne elterliche Bestärkung – und vielleicht fehlte genau dieser Zuspruch, um zu lernen, wie ich Widerstände von anderen nutze und aushalte, damit es gelingt selbständig der Welt zu begegnen – ohne Lehrer, ohne Mentoren, ohne Ratgeber und ohne mir selbst ins Knie Begegnung in mir und mit anderen als Schlüssel für das kreative Schreiben?
Mittlerweile gibt es unzählige Schreibratgeber. Ich bin darüber ein wenig verwundert. Damals schrieb mir Heinz Kruschel noch mit Federhalter und Tinte Briefe, gab preis – welche Autoren ihn bewegten und was an meinen Gedichten und Texten ihn berührt und was weniger stimmig ist. Er wäre vermutlich nie auf die Idee gekommen, mir einen Schreibratgeber zu empfehlen. Es ging um Kontakt, Beziehung und Austausch – und dies hatte ich bitter nötig. Durch Heinz Kruschel lernte ich die Autorin Brigitte Reimann kennen, Gottfried Benn und fühlte mich getragen von dem Gedanken, mein eigenes Leben mit Schreiben auszufüllen. Ich sah mich wie Brigitte Reimann, die begierig die Lebendigkeit genoss –
Heute sehne ich mich nach solchen Orten, wie ich es als junge Frau erfahren durfte – ohne diese Facebooks-likes, mit handgeschriebenen Briefen und Begegnungen, die von anderen Autoren, Künstlern, Bildern, Texte, Gedichte geprägt sind – ohne die mögliche Veröffentlichung, den nächsten großen Fang auf dem Buch- oder Kunstmarkt in den Mittelpunkt zu rücken –
Es sind freundschaftliche Bindungen, die Einsamkeit und die manchmal sehr in sich zurückgezogene Tätigkeit des Schreibens und Malens teilen können –.
Immer mal wieder erprobe ich mich. Ringe um eine klare Struktur, der ich im Schreiben folgen will. Wie schreibe ich einen Krimi? Wie erzeuge ich Spannung? Was ist ein richtiger Roman? Wie schreibe ich bloß kein langweiliges Drehbuch?
ich scheitere! Ich sehe vor mir Brigitte Reimann, die auf die Tasten ihrer Schreibmaschine in Hoyerswerda klopft als sie mit ihrem Ehemann und Autor S. Pitschmann dem Ruf der Bitterfelder Wege folgte …
Ich mag die Poesie und weniger die strengen Regeln von Genres und die für mich quälenden Auseinandersetzungen nach Zielgruppe, Publikumsgeschmack und Vermarktungsmöglichkeiten.
Heute gibt es Studiengänge, Ratgeber, Workshops und Coaching – und trotzdem hilft es nicht – denn entscheidend ist (für mich), wie halte ich die Einsamkeit beim Schreiben aus – im Moment des Schreibens sitze ich mir selbst gegenüber, führe innere Monologe, male Bilder mit Worten und reise auf dem Papier – jedoch vielleicht nicht im realen Leben – ich liefere mich der Innenwelt aus und muss im Außen anderen gestehen, dass ich den Abend allein mit mir verbrachte.
Ich schreibe Sätze mit der Hand oder der Tastatur, übermale geht am PC nicht – hier lösche ich. Wie mit einem Tintenkiller, wenn ein Wort nicht schön genug scheint, der angreift und vernichtet.
Es gibt sogar Skriptcoaching – wofür ich vermutlich ziemlich viel Geld hinlegen muss, ohne am Ende zu wissen, wie gehe ich mit Widerständen um – wie setze ich mich für etwas ein, woran ich glaube, während andere vermuten, dass ich versagen werde.
Wer schreibt noch Abhandlungen, Briefe und Essays nur um in den Gedankenaustausch und Kontakt mit anderen zu treten – ohne ein therapeutisches, beraterisches oder erzieherisches Ziel zu verfolgen?
Die innere Vielfalt versus der äußeren Bewegtheit (Fähigkeiten wie Small talk, Reisefotos posten, likes sammeln, immer unterwegs sein, schreiben im zug, am bahnhof, in cafés – nur selten auf sich selbst und reduzierte Reize zurückgeworfen)
Ich lese jetzt Frauenbriefe aus der Romantik – ein Buch, was mir mein damaliger (Lebens)Partner zum 22.Geburtstag schenkte, uns verband das Schreiben und Lesen und uns trennte unterschiedliche, sich widersprechende Vorstellungen und Erwartungshaltungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und vermutlich der Nutzen einer Liebesbeziehung, die nicht im gemeinsamen Zeugen, Gebären und Erziehen von Kindern mündet.
Er wählte den akademisch-wissenschaftlichen Weg mit einer akademisch-wissenschaftlich orientierten Frau an seiner Seite und gründete eine Familie* … ich nicht …
… und inwiefern ich selbst das Fehlen solcher Entscheidungen als Makel und Stigma betrachte, darin bin ich mir unschlüssig – vielleicht finde ich Antworten in Briefen von anderen Frauen oder woanders oder wo auch immer ….
„Es ist dieses Ringen um ein eigenes Selbst, das einem Menschen Stärke gibt, das eigene Selbst und gleichzeitig den Kontakt zu einer auf vielen Ebenen unwirklichen gesellschaftlichen Realität aufrechtzuerhalten. Aus solchem Ringen kommt auch Freude an der eigenen Lebendigkeit und der des anderen. Indem solch ein Selbst jedoch nicht ein abstraktes Bild eines Image ist, sondern ein Zustand der Verbundenheit mit den eigenen Gefühlen sowie mit denen der anderen, kann es nur bestehen, wenn das Ringen um solche Verbundenheit lebendig bleibt. […] Deswegen ist Lebendigkeit Wandel, nicht Beständigkeit: deshalb kommt Stabilität aus der Fähigkeit, Spannungen zu ertragen; und kein einzelner ist immun gegen die verführerischen Versprechungen einer konfliktfreien Existenz.“ (Arno Gruen aus: Der Verrat am Selbst. Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau. DTV-Verlag, 2009 S. 151)
Anmerkung: Natürlich sehe ich diese Auseinandersetzung nicht so im Absoluten Schwarz/Weiß und in einer Polarisierung zwischen Entweder/Oder und Wertung im Sinne eines Hierarchisieren, was besser oder schlechter sei – dies mag ich mir überhaupt nicht anmassen und unterliegt nicht meiner Einschätzung und Intention.
01.04.2015
einspluseinssindzwei pluseinspluseinssindvier plussiebzigtausend.sind unzählbar-langweilige zahlen.-am schafshimmel regnet es rosenblätter die dornen sind stumpf das blut vertrocknet in den-krampfadern—->>>bisderkopfganzleerzustaubverfällt!
Warte ich hole schnell einen lampen ….
….fahrstuhlistausgefallen.nimmdietreppen.
am besten zwei stufen auf einmal. passauf.
fallnicht.—–schneller wir kommen zuspät. was jetzt schon aus mit der putze. was soll erst mit dir werden…..
wenndusoaltbistwieich….
altwerdeichnicht.ohjemineeee gefühle zulassen und aushalten. nahsichselbstbleiben-ganz leise wippender kopf im takt der melancholie-nochnichtsatt.ungenügend gedient am hellerlichten tag.nichteinschlafen. duverpasstdeinen!!!zug.
woistdeineuhr.!!!!
hast
du
den herd
ausgeschaltet.
der vogel aus dem käfig ist längst ausgebrochen………derbrauchtkeinfuttermehr.
lassdas.
…warum kennst du kein gutennachtlied-
schließdochnichtimmerhinterdirdietür-
wir wollen nur teilhaben
-warumbistduimmersoanders-
washabenwirdirnurgetan-schlafjetzt-
sonst kannst du morgen nicht fleißigsein-ruhe-wirklich-
jetzt ist es allerhöchste eisenbahn! hast du auch ordentlich
deine kleidung gefaltet.damit-
wennnachtswaspassiert-du schnell alles wieder findest?
Dienstag, 31.03.2015
am freitag treffe ich mich mit anderen menschen, um das thema „masken- und rollenspiel“ – was zunächst auf der metaphysischen ebenen begann, in dem künstlerischen-kreativen prozess eine fassbare richtung zu verleihen –
einerseits möchte ich vorab zu wenig wie möglich vorbestimmen und andererseits geistern verschiedene vorstellungen, was ich gern probieren möchte, in meinem kopf herum. Heute griff zum katalog der ausstellung von ulrike rosenbach. Ich frage mich, wie es wohl wäre mit Menstruationsblut ein bild abzuschließen – der saft von rote beete war interessant – nur weniger dem weiblichen mythos unterlegen – und inwiefern ich mich selbst in form einer performance, die ich auf video festhalte, als eigene Maske nutze, um Unsichtbarkeit in den Mittelpunkt zu stellen und die Wandelbarkeit von körperlicher Präsenz während eine handwerklicher* Aktion vollzogen wird.
Außerdem fragte ich mich, inwiefern es möglich sei, den Ödipus-Komplex fernab von dichotomer Geschlechtlichkeit (männlich/weiblich) darzustellen. Heute beim Kaffee fiel mir ein, dass ich ja Arno Gruen im Bücherregal habe – und ich entschied mich noch mal gründlich das Kapitel „Die Entmenschlichung des Mannes und die Unterdrückung der Frau“ zu lesen.
Nur wie bringe ich all die Fäden zusammen … und weshalb ist mir es so wichtig? Ist die Angst vor der Menopause im Anmarsch, oder sind es die Fragen nach Einsamkeit und an welche sinnstiftenden Lebenszusammenhängen und Familien*konstellationen will ich mich binden? Oder lieber vorzugsweise der dornige Elfenbeinturm mit einer direkten Rutsche in die düsteren Kellerräume? Warum bin ich nur nicht Astronautin geworden?
Ich hänge für freitag meine videokamera erst mal an den Strom … immer schön einen schritt nach dem anderen …
Montag, 30.03.2015
Ende Januar bzw. Anfang Februar besuchte ich einen Drehbuchschreibkurs, den ich schnell wieder abbrach. Heute beim Origamifalten (Kranich), nebenbei lief der Film „Psycho“ musste ich unweigerlich an den Kurs denken. Durch das Ende von „Psycho“ wurde mir plötzlich klar, wie stark und lange sich Begrifflichkeiten wie „Transvestiten“ halten und die psychoanalytischen Betrachtungen im alltäglichen Leben vorherrschen. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, weil mir einerseits im täglichen Leben und andererseits im Arbeitsalltag spezifische interdisziplinäre Haltungen selbstverständlich sind, so dass ich gar nicht mehr auf die Idee komme, es gäbe tatsächlich noch Menschen die sich nicht mit der Doing & Undoing gender, Intergeschlechtlichkeit, Transidentität auseinandergesetzt haben. Vor allem überrascht mich, wenn tatsächlich Geschlechtskonstruktionen mit dem sexuellen* Begehren (Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität, Asexualität u.a. – ich verwende den Begriff „Begehren“ nicht im Sinne von sexuellen Praktiken, sondern es erscheint mir an dieser Stelle sinnvoll von Begehren zu sprechen, um deutlich darauf zu verweisen, dass geschlechtliche Stereotype und Konstruktionen oder Verortungen zu trennen sind vom Begehren) gleichgesetzt werden. Alles ist wandelbar und diese Haltung/Philosophie schließt eben nicht Eltern-Projektionen aus, sondern vermeidet Stigmatisierung und Pathologisierung und schließt die eigene Sprechposition, Privilegien und Machtstruktur ein. Im Drehbuchschreibkurs fiel das Wort „Transvestit“ – ich reagiere meist auf solche Situationen mit Schweigen bzw. meine Stirn setzt sich wohl eher automatisch in Falten, so dass meine Mimik als Sprachrohr genügt und zudem bin ich getrieben durch den Wunsch etwas Verbindendes herzustellen und weniger Ablehnung, damit ein tieferes Verstehen und Verständnis eher möglich sind, als das Beharren auf „korrekte Begrifflichkeiten“ reiche ich lieber eine milde versöhnliche Hand. Manchmal gelingt es und manchmal scheitert es. Erst kürzlich bin ich über ein neues Buch zum Thema „Psychoanalyse und Gender Studies“ gestoßen. Interessanterweise scheinen sich eher Frauen* mit der Thematik und inwiefern es für die praktische (therapeutische) Arbeit umsetzbar wird, zu befassen.
Ich bin glücklich, wenn die Membran zwischen den verschiedenen sozialen Systemen zunehmend durchlässiger und fragiler wird. Vermutlich verstärken solche Veränderungsprozesse Ängste und Sorgen, was hoffentlich in der wirklichen Begegnung zwischen Menschen mehr Achtsamkeit auf die Tagesordnung ruft. Vielleicht läuft irgendwann in der Zukunft eine Adaption von „Psycho“ mit einer neuen Interpretation und Ende.
Buchtipp: Obskure Differenzen. Psychoanalyse und Gender Studies http://www.psychosozial-verlag.de/2271
Alles ist wandelbar und dies nahezu in jeder Sekunde … und meine eigene weibliche* Eindeutigkeit durchbreche ich selbst immer wieder und dies mal mehr und mal weniger getrieben von gefühlten Abhängigkeiten und Unsicherheiten, die eine weibliche Sozialisation zu Zeiten des Umbruchs mit sich bringen. Ich bleibe mit mir im Prozess und gestatte mir eine durchlässige Membran …
mit jedem Kranich mehr – verfalle ich vielleicht erneut in die Schreiblust und führe die angefangene Geschichte aus dem Drehbuchschreibkurs möglicherweise zu einem geschriebenen Ende – vielleicht
Samstag und Sonntag – 28. & 29.03.2015
Kurz nach meinem Umzug – ich freute mich auf meine eigenen vier Wände, selbst wenn die Mieten in Großstädten unverschämt die Geldbörse schröpfen und aus diesem Grund ich mir nicht viel Wohnfläche leisten kann – trotzdem war es ein Fest. Ich bemerkte in mir den Wunsch, allein sein zu wollen. Keine (Zweck)WG. Genug Küche und Bad geteilt.
Nun saß ich auf meinem Bett und schaute übers Tablett noch TV. Plötzlich irritierte mich eine Spiegelung in der Balkontür. Zunächst blieb ich ungläubig und zweifelte an meiner Wahrnehmung. Irgendetwas zwang mich erneut zur Konzentration und es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Vor der Balkonbrüstung stand eine Person und filmte oder fotografierte mit einem Iphone in mein Schlafzimmer. (und nein ich saß es trotz Erdgeschosswohnung nicht ein, mich von Beginn an total mit all möglichen Sicherheitsstandards auszurüsten und einzuigeln) Ich hatte bereits einen Wen Do-Kurs hinter mir und zwang mich zur Besonnenheit und sofortigem Handeln. Natürlich fand ich in der Panik mein eigenes Handy nicht, um die Polizei rufen zu können. Ich gab nicht auf und klingelte mitten in der Nacht meinen Nachbarn aus seiner Wohnung, der für mich auf dem Balkon, der sehr im Dunkeln liegt nachts, nach schauen sollte.
Nach dieser Aktion (und Telefonaten mit Freund_innen, die mir auch sofort Unterstützung anboten) entschied ich mich zusätzlich die Polizei zu informieren, machte Aushänge im Haus, um Öffentlichkeit herzustellen, informierte meine Nachbarin und die Angst wurde trotzdem nicht weniger. Auf keinen Fall wollte ich den Rückzug antreten. Ich war erst eingezogen und mochte die Wohnung und dies sollte so bleiben.
Ich musste sehr kämpfen, um nachts überhaupt noch schlafen zu können. Jedes Geräusch ließ mich aufhorchen und Erinnerungen an andere über griffige Situationen kreisten in meinem Kopf. So bald es dunkel war, traute ich mich nicht mehr auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen. Obwohl ich mir schwor, in der neue Wohnung nicht zu rauchen, brach ich dieses Versprechen.
Dies war der Moment mit dem Ausdrücken der Zigarette im Aschenbecher, der mir signalisierte, ich muss dringend für mich sorgen. Ebenso weigerte ich mich, die Empfehlung der Polizistin anzunehmen, die meinte, es mache Sinn den Balkon zumindest mit einem Katzenschutznetz zu umwickeln. Ich saß mich vor meinem inneren Auge als der Vogel im Käfig, der neidisch auf das Treiben im Außen starrt. Stattdessen pflanzte ich wie wild Blumen mit Dornen und Stacheln.
Nun bin ich über neun Monate rauchfrei. Die Ruhelosigkeit und das Wälzen im Bett nahmen rapide zu, bis ich mich auf meine inneren Stimmen einließ – erst mal wirres Durcheinander und die Frage tauchte auf, bin ich zu erschöpft oder bin ich zu wenig ausgelastet. Wie ein Kind, dass den Auftrag hat, sich selbst in den Schlaf zu wiegen und mit dieser Aufgabe heillos überfordert ist. Der Körper sendet ungewohnte Signale, die keine Befriedigung erfahren, weil es dafür noch keine passenden Räume gibt.
So galt es mir Räume zu suchen, auszutesten und Vertrauen zu gewinnen und zu halten. Ich ging mehrfach in der Woche schwimmen. Das Wasser half mir, mich selbst tragen zu können. Nur die Angst blieb. Letztlich nach längere Überlegungen war ich überzeugt, eine Probestunde in der Frauenkarateschule Chikara erleben zu wollen. Und dort blieb ich.
Erstaunlicherweise verzog sich die Angst sehr höflich und dezent in den Hintergrund. Schnell spürte ich die Auseinandersetzung mit meinem Körper und der eigenen innewohnenden Aggression, die in Form von Kraft und Energie ein Ventil nach außen sucht, um geistig und körperlich präsent sein zu können. Der Kiai blieb mir im Halse stecken, bis ich fühlte – dass der Kampfschrei die gesamte Kraft meiner Atmung und Energie symbolisierte. Wenn heute – nach sieben Monaten Karatetraining – ein Kiai nicht gelingt, bin ich versöhnlich. Die Stille und der Fluss von Energien sind nicht berechenbar und manchmal versagt die Energie mitten auf dem Weg, um sich neu sammeln und bündeln zu können. Ich nutze im künstlerischen Prozess Überschreibungen im Bild – nicht um zu verstecken – sondern um korrigierenden Erfahrungen eine Möglichkeit der Entfaltung zu geben. Nach einem Wochenende und eine Einführung in das Schauspiel sah ich die Verbindungen zur Kampfkunst. Der Boden des Dojos eine Bühne, auf dem Wiederholungen geübt werden. Die Übung der Wiederholung ist Kunst. Sich in die Bewegungen der Partner_innen einzulassen, ohne das eigene Tempo aus dem Blick zu verlieren und ohne in ein stupides Funktionieren und Nachahmen zu verfallen. Das Roboter_innendasein ablegen und in die Augen des Gegenübers blicken, zu Überraschungen bereit, um den gemeinsamen Flow genießen zu können. Gestern probte ich in einem vierstündigen Workshop den Stockkampf. Eine Waffe* als Verlängerung und Bestärkung des eigen Körpers. Sich der eigenen machtvollen Position bewusst werden, abwehren und angreifen. Es ist eine Kraft, die ihre Zartheit und Zerbrechlichkeit beschützt und bestärkt mit Ausdruck und Kommunikation, die ein Sprechen über etwas, überflüssig macht.
Schon nach der ersten Karatestunde war ich begeistert – vor allem kein sich beweisen müssen – in einer verbissenen Form von Überlegenheit und jemanden besiegen zu wollen/müssen – keine plumpe Demonstration von Kraft und Stärke – sondern die innere Steifheit loslassen, um dem Körper Bewegungsfreiheit zu schenken. Mich hinderte zunächst die eigene verinnerlichte Vorstellung von Hierarchie und Unterlegenheit. Es war mir ein Bedürfnis meinen schwarzen Keikogi selbstbestimmt zu kaufen. Ich beschloss, solange es einen Teil in mir gibt, der den den Karateanzug mit einer konformen Uniform assoziiert, ist es für mich zu früh, um respektvoll den Gi (Kurzform von Keikogi) aus meinem Dojo zu tragen.
Seit einigen Tagen fühle ich eine immer stärker werdende Veränderung – und für das Malen brauche ich ebenfalls Kleidung. Ich werde wohl bald wechseln. Ein Gi aus meinem Dojo fürs Karatetraining und ein bereits getragener Gi ohne Gürtel fürs Malen. Ebenso hänge ich am Weißgurt – der Schnee liegt auf der Landschaft. Der Anfängergeist im täglichen Leben. Manchmal leide ich unter meinen eigenen Enge, suche in Büchern nach Notausgängen und bin wiederum getrieben vom Zweifel, der anklopft und hinterfragt, inwiefern der Prozess lebendiger in sich wachsen kann, ohne Bücher als Wegweiser aufzuklappen. Natürlich wollte ich von meiner Sensei wissen, ob es darüber ein Buch gibt – sie empfahl mir von Daisetz T. Suzuki: „Zen und die Kunst zu siegen, ohne zu kämpfen“ und eine Textstelle, die ich spontan aufschlug, scheint mir ein gelungener Abschluss für meinen (auf)geschriebenen Weg am heutigen Sonntag:
„Im kendo (Schwert-Weg) kommt es neben dem Element der Technik vor allem auf das spirituelle Element an, das die Kunst in allen Teilen und Phasen beherrscht. Gemeint ist ein Geisteszustand, der munen oder muso – „Nicht-Denken“ oder „Nicht-Reflexion“ genannt wird. Das heißt mehr als bloß frei zu sein von Gedanken, Ideen, Gefühlen und so weiter, wenn man mit dem Schwert in der Hand dem Gegner gegenüber steht. […] Diesen Geisteszustand nennt man auch „Ichlosigkeit“ oder „Nicht-Ich“; man hegt hier keine ichbezogenen Gedanken, ist völlig frei vom Bewusstsein eigener Leistungen und Errungenschaften. Der sogenannte Geist des „Allein“ […]“ (S. 65, Verlag Herder: 1999)
https://www.youtube.com/watch?v=8_TjI_g1cz8
setzt sich mitten auf die verkehrbeunruhigte Straße
um das Ruder vom Auto zu übernehmen
damit endlich Bäume am Fenster vorbeiziehen.
Nicht jeden tag muss ich ein bild einfangen. die jagdsession war nie eröffnet und bleibt geschlossen.
(der flüchtige moment wird mir begegnen und das Innehalten mit wörtern & bildern wird erlebbar in der gegenwart.)
Freitag, 30.01.2015
Es gibt Momente tiefer Enttäuschung. In solchen Augenblicken treibt die Sprachlosigkeit ihr Unwesen, verwüstet Hoffnungen und setzt die Zuversicht stark unter Bedrängnis.
Vor einigen Wochen bat ich eine Freund_in, mir einen neuen Namen zu geben. Zunächst löste meine Bitte Verwirrung aus und wenig später war die Bernsteinfrau geboren. Im letzten Jahr blätterte ich immer wieder gern und manchmal ganz spät in der Nacht in Briefen, die ich nie abschickte. Schaute auf Fotos aus meiner Kindheit und suchte nach Erinnerungen, die zeigen, wer ich bin und woher ich komme. Dabei stelle ich fest, dass Ambivalenzen kaum sichtbar sind. Sie sind in uns, während im Außen alles recht gemütlich wirkt.
Ich wollte unbedingt jeden Tag ein Bild festhalten. Jeden Tag. Damit etwas bleibt im Fließen der Zeit. Fernab von Funktionalität nahm ich mir vor Gesicht zu zeigen. Das Innere nicht verstecken hinter der gut geputzten Kaffeetasse und dem Zuckerstückchen aus der Zuckerdose. Besonders schwer fällt mir die Traurigkeit festzuhalten. Ich will sie loswerden, ertrinken im Wein oder vergessen im Alltagssumpf. Meist schlägt dann der Intellekt zu, der anderen die Welt erklären will. Eine Form des Intellekts, der das Herz vereist, um überleben zu können. Enttäuschung und Traurigkeit werden still gelegt, ganz tapfer und erbarmungslos, bis die Sonne wieder scheint.
Außerdem stelle ich mir immer wieder selbst gern ein Bein. Der Perfektionismus schleicht sich über die Hintertür ein und übernimmt klammheimlich, während ich mit der Vereisungsarbeit alle Hände voll zu tun habe, das Ruder. Die Ereignisse überschlagen sich, bis dann innen und außen verschwimmt, die Motoren qualmen und Erstarrung sich übers Land legt. Jeder Schritt ist schwer und fühlt sich nach Pflichterfüllung an. Ganz versunken und vergessen, dass ich mir selbst diese Regeln aufstelle. Alles ist vernebelt und Stimmen wiederholen: „Aus dir soll doch etwas werden, vergeude nicht deine Zeit!“ Es ist ein schriller Kanon aus der Heimat.
Jeden Tag gibt es unzählige Bilder. Ich werde nie einfangen können, was das Leben bietet. In meiner Enttäuschung und Trauer zeige ich mutig meine Tränen. So lange ich das Schreiben als Pflicht empfinden, müssen die Tasten ruhen. Die zwanghafte Suche endet in der Erstarrung und zurück bleibt eine leere Hülle, die von außen glänzt und im Inneren sich die Leere ins Fäustchen lacht.
Diese Woche habe ich Heimat 1 beendet, begebe mich nun in die Chronik einer Jugend mit Heimat 2. Las zwei Bücher aus und griff aus einem ganz wundersamen Impuls heraus zu Oscar Wilde, „Das Bildnis von Dorian Gray“ und halte fest: „Menschen, die treu sind, kennen nur die gemeine Seite der Liebe: Die Treulosen sind es, die die Tragödien der Liebe erfahren.“
Treue und Verbundenheit loslassen, um eingebrannte Bahnen verlassen zu können. Ich genieße die Leichtigkeit und wünsche mir, dass ich ganz zart und leise der Traurigkeit lauschen kann.
Lieber über einen schimpfenden Vogel im Baum freuen, als die Wege gehen, die wie Blei als Beschwerung in den Schuhe das Blut abschnüren; am Laufen im eigenen Tempo hindern. Es gibt keinen stillstand, auch wenn manchmal alles schweigt.
die bernsteinfrau
Fehler, vergessene Wörter u.a. bessere ich zur Zeit nicht aus. Alles hat seine Zeit … der tag wird kommen.
gedankenlos reihen sich manchmal minuten aneinander und der geist verharrt im vergangenen bis irgendwann sich der innere sturm legt und die see wieder stillt liegt, während der mond sich auf der wasseroberfläche spiegelt.
Der geist hat nicht seinen sitz im kopf. Der geist durchstörmt den ganzen körper und der Intellekt ist ein erlernter ratgeber, der* erhaben und manchmal herablassend auf das herz und die Bauchentscheidungen blickt aus angst ins nichts verdrängt zu werden.
Erst neulich las ich in einem buch, was ich bereits 2003 kaufte. Ich bemühe mich und verschaffe mir einen überblick. In diesem buch schlage ich Seiten auf und erfahre, dass in den Religionen das Kleid als heiliger Gegenstand gilt. Plötzlich sehe ich es vor mir – die Gewänder getragen von menschen* und staune darüber, wie das kleid seine geschlechtliche Bedeutung gewann. Schade!
In den letzten Tagen war ich in mir unterwegs. Es ist nicht dunkel.
Ich bin der Kontrolle in mir begegnet durch die Wut, die Menschen bei mir auslösen, versuchen sie an etwas festzuhalten, was sich nicht binden lässt. Ist der Nebel des Zorns verzogen, entpuppt sich unter dem Rauch die Angst vor der Vergänglichkeit.