Philosophie vom Glashaus …

Dienstag, 07.04.2015

Auf das Buchtitelorakel als tägliche Dosis Werbepost im Emailaccount ist Verlass. Besonders hübsch fand ich den Titel „Vergiss die Kunst. Schreib“ oder so ähnlich … Wie der Zufall manchmal spielt, führte ich ein Gespräch über den kreativen Schreibprozess, ohne den Einsatz von Suchtmitteln wie Nikotin und/oder Alkohol. Während ich am heutigen Tag ganz begierig nach Pfefferminz-Tee bin. Meist trinke ich beim Schreiben Wasser, Tee oder Milchkaffee (mit aufgeschäumter Milch). Ich vermisse die Zigarette nicht. Erst recht schreckt mich Alkohol ab, dem ich so gar nicht im kreativen Flow über den Weg traue. Wobei mir nach getaner „Arbeit“ es manchmal schwerer wird, mich nicht mit Alkohol zu belohnen. Beim Malen verspüre ich erst recht kein Verlangen nach Suchtmitteln. Das ist interessant. War ich vor allem im jugendlichen Eifer überzeugt, dass „wahre“ Künstler_innen eine Sucht brauchen, um als Künstler_innen zu gelten … ja ja die Vorurteile und Stereotype, die sich festsetzen.

Das Bloggen entspricht natürlich mehr einer täglichen Schreibübung, der ich nachgehe um das Schreiben als Regelmäßigkeit zu etablieren. Ich bin gespannt, wie sich mein weiterer Weg abzeichnen wird, wenn ich es wage, den Faden der Geschichte, die ich im Drehbuchschreibkurs begann, erneut aufnehme.

Aus diesem Grund bin ich innerlich im Dialog mit mir. Frage mich weiterhin, was macht für mich eine Liebesgeschichte aus – insbesondere wenn ich den Blick für Diversität von Lebensverläufen als Selbstverständlichkeit integrieren möchte. An welcher Stelle tappe ich in Fallen und wo sind meine wunden Punkte, an denen ich meine zu versagen?

Ebenso bin ich motiviert mit meiner Sprache für eine erzählte Geschichte sehr deutlich, klar und einfach im Ausdruck sein zu wollen. Es ist mir wichtig, eine Zugänglichkeit zu schaffen, die sich nicht selbst erhöhen braucht durch einen vermeintlichen akademischen Ton. Dies wird nicht so einfach, wie es klingt. Und enorm wichtig, um alltagsnah verständlich sein zu können – selbst bei Themen, die möglicherweise bisher gelebte Vorstellungen infrage stellen und dementsprechend Angst vor Ablehnung, Veränderung usw. auslösen …

Ich brauche viel Geduld mit mir. Heute überlegte ich, was der Pudelskern des Pförtner_innenjobs sei – im Glashaus sitzen und Kontrolle ausüben, den Überblick über das Geschehen im Außen nicht verlieren und im Inneren nicht aus Verzweiflung und Langeweile, die Kontrolle über sich selbst verlieren …? Danach strengte ich meinen Kopf an, um mich an Liebesfilme zu erinnern, die ich mag. So spontan fallen mir (erst mal) zwei Filme besonders ein – also so dass ich sie mir erneut anschauen würde … mmmh ist „Die Poetin“ ein Liebesfilm, zumindest ohne happy end? da fängt es schon wieder an .. der Zweifel nippt an der Teetasse …

 

robots oder die gemeine Hausfliege

Montag, 06.04.2015

Mein Wecker war heute auf halb fünf gestellt. Die Geräusche drangen so gegen sechs Uhr ernsthaft zu mir durch. Zu spät kam ich ins Büro und meine Stimmung entsprechend noch genervter als kurz nach dem Aufstehen.

Ich würde sehr gern Frida Kahlo fragen, ob ihr je geraten worden ist, ihre Augenbrauen sich schön zurecht zu zupfen … Manchmal lasse ich mich von Verschwörungstheorien verleiten, es hätten sich diverse robots auf meinen PC & Tablett breit gemacht. Kaum schreibe ich ein paar Gedanken für den blog nieder, bekomme ich von amazon Ratgeberliteratur als Empfehlung zugesandt.

Das nervt! Ich gehöre zu den Menschen, die durchaus Buchhandlungen, Flohmärkte und Secondhand Läden aufsuchen. Außerdem bin ich in der Lage, mich selbst mit entsprechender Lektüre (die bei mir eh immer mehr wird – mir graut vor dem nächsten Umzug) zu versorgen. Bibliotheken sind mir auch nicht fremd.

Und weshalb sollte ich Bücher über das glückliche Führen einer Ehe lesen? Um auf Literaturklassiker gestoßen zu werden wie Max Frisch, Tolstoi, Mann, Tucholskys, Virginia Woolf? Was soll das denn bitteschön? Ich habe bereits im jugendlichen Alter Hermann Hesse gelesen, kannte Böll, Kafka & Co (wer auch immer zum Co gehört)

Nur weil ich Veränderungen an meinem Körper bemerke, der mir scheinbar vermitteln will, besonders jetzt in eine sehr fruchtbare Phase meines Lebens zu rauschen – heißt das nicht automatisch – ich lasse alles stehen und liegen.

Eine andere Buchempfehlung titelt mit der Einsamkeit. Gibt Tipps und natürlich sind Anleitungsübungen dabei … mir geht das so langsam sehr auf den Keks!

Ich lese direkt etwas über die Arbeitsweise von Milton H. Erickson oder hole Michaela Huber, Luise Reedemann, Alice Miller u.a. aus dem Bücherregal – als den 10.000 Ratgeber, der sich wiederholt.

Wie wäre es mal mit Emotionen aushalten und annehmen, dass Einsamkeit ein Teil des ganzen Menschseins ist? Unabhängig davon dachte ich, dies sei eh alles Schnee von gestern – von wegen Singlehaushalte, rückläufige Geburtenrate, verminderte Fruchtbarkeit, Scheidungen, Trennungen, Wandel der Ehe als Institution – die ihre Bedeutung im Sinne der gegenseitigen finanziellen Versorgung (wohl hier auch eher für Menschen, die nicht von Armut, Abschiedung o.ä. betroffen sind) verliert?

All diese Themen habe ich während meines Studiums, was nun zehn Jahre in der Vergangenheit liegt, durchgekaut. Ebenso – ich sah auf 3sat eine Sendung, die über Postmoderne, Punk und Kunst informierte, bin ich überrascht, dass plötzlich Postmoderne sich als Debatte fortsetzt. Ich habe dazu Hausarbeiten geschrieben. Mich mit Zygmunt Bauman auseinandergesetzt, der Postmoderne/Moderne infragestellt und folgerichtig auf den Nationalsozialismus verweist, der innerhalb moderner gesellschaftlicher Strukturen funktioniert hat. Dementsprechend Vergleiche wie Moderne und Barbarei hinken. Hier ein Kommentar von Ulrich Beck http://www.taz.de/!147628/

Und natürlich sind die sozialen Systeme wie Kunst, Bildung, Wissenschaft als Teilsysteme nicht undurchlässig voneinander abgetrennt und abgeschlossen. Sie stehen im Austausch und bedingen einander.

Zudem, was manchmal gern vergessen wird, gab es 1989 gesellschaftliche Umbrüche und sozialer Wandel in ganz Europa. Auch von Globalisierung sprechen wir doch schon eine halbe Ewigkeit.

Anstatt mir Abnehmratgeber (was ich wirklich schon unverschämt finde) als Buchempfehlungen als Herz zu legen, könnte mich Amazon mal informieren, was die Menschen, die heute studieren – sei es Kunst, Politik, Soziologie, Film, Theater – bewegt und worüber sie schreiben, nachdenken und an welchen Utopien und Weltverbesserungsideen gebastelt wird.

Vermutlich sind Foucault, Goffman, Nietzsche, Kierkegaard, Max Weber, Luhnmann, Judith Butler noch so aktuell wie Hesse, Frisch, Kafka, Marlen Haushofer, Simone de Beauvoir, Susan Sontag und trotzdem wird sich der Blick weiten, öffnen und verändern.

Weil sich der Alltag verändert. Ich spreche mit lesbischen Freund_innen, die über eine Samenbank sich ihren Kinderwunsch erfüllen und dafür mehr zur Kasse gebeten werden als heterosexuelle Paare. Parallel gucke ich eine Dokumentation  auf ARTE über künstliche Befruchtung in den USA. Bin überrascht, was heterosexuelle Paare, die bereits Eltern von zwei Söhnen sind -, auf sich bürden, um unbedingt ein Mädchen auf die Welt zu bringen.

Ich brauche keine Dating-Internetportale. Ich bin zufrieden mit meiner Einsamkeit. Hadern, zweifeln, scheitern sind Bestandteile einer Persönlichkeitsentwicklung, die ebenso Beachtung verdienen.

Liebe*, sich einlassen, Zuneigung schenken und annehmen können – sind keine Gegenstände, die ich herstellen möchte -so als inszeniere ich ein Theaterstück. Da schreibe ich lieber, lese über von Tschechow und über die Dramatik des Erzählens.

Ich habe nicht mal mehr Lust und Zeit für Facebook. Und da erinnere ich mich auch … ich war eine mit der ersten, die studivz (existiert das heute überhaupt noch?) zu facebook wechselte. Damals wollte ich unbedingt den Gedanken der weltweiten Vernetzung unterstützen. Denn es gibt einfach zu viele Länder, in denen Öffentlichkeit beschränkt werden. Menschen müssen tatsächlich um ihr Leben bangen und bringe sich in Lebensgefahr, wenn sie sich äußern und vieles mehr.

Ich habe echt keine Lust mehr auf diese Amazon-empfehlungen. Mal sehen, was ich wohl morgen in der Emailpost als Werbung liegt.

Ich schreibe regelmäßig, weil es mir Freude bereitet. Es macht Spaß auf die Tastatur zu hauen. Die innere Auseinandersetzung ist mir selbstverständlich. Hürden, Hindernisse, Hemmnissen werden immer mal wieder auftauchen und hoffentlich schreibe ich bald eine Geschichte mit einem Ende, was mich zufriedenstellt. Ich brauche (aus sehr vielfältigen Gründen) die persönliche, biografische Auseinandersetzung, um in den kreativen Prozess einzutauchen, ohne darin zu ertrinken.

Für Ratgeberliteratur gebe ich mein Geld nicht mehr aus. Lieber Kino, Theater oder einfach eine tolle Serie auf DVD … und verdammt Frida Kahlo hat bestimmt auch niemand gesagt, sie solle sich rasieren oder mal wieder Sport treiben, um schön hübsch für den Diego oder eine andere Liebhaberin zu bleiben …

bernsteinfrau

Krähen fliegen übers Dach

Sonntag, 05.04.2015

CAM00629 CAM00630 CAM00631mit Osterwünschen und der Ermahnung, es würde am Sonntag Schnee vom Himmel fallen, verabschiedete mich eine freund_in ins Wochenende …

… dies blieb mir und meinem Hund beim Spaziergang mit Tom Waits in den Ohren erspart. Grandioser Sonnenschein, der zum Stockkampf oder improvisierten Tanzen auf der grünen Wiese einlädt.

Interessanterweise fühlte ich gestern eine gewisse Nutzlosigkeit, die eigentlich eher wenig den Tatsachen entsprach. Ich schreibe jeden tag ein paar zeilen, male, lese und hinterfrage diese aktivitäten nach sinnhaftigkeit, was völlig überflüssig ist. Es ergibt sich aus dem Prozess, unterliegt eben nicht einer Verwertbarkeit im Sinne von Lohnarbeit und vielleicht ist es genau das, was mich immer wieder hindert. Es ist scheinbar und vergleichbar mit der Hausarbeit und Kindererziehung nicht messbar und folgt keinem marktwirtschaftlichen Prinzipien der Verkäuflichkeit in Massen.

So ist in mir tief verwurzelt ein Teil, der sich selbst ermahnt für die Hingabe und das Verlieren in der Zeitlosigkeit.

In der letzten Zeit bewegten mich Männlichkeitskonstruktionen und -bilder. Außerdem stolperte ich zufällig über psychoanalytische Sichtweisen/Interpretationen von Grimm Märchen. Wie aus dem Nichts malte ich heute. Ich liebe es, handgeschriebene Worte zu integrieren. Ich bin Rolf Schanko sehr dankbar. In den künstlerischen Seminaren meiner kunsttherapeutischen Ausbildung setzt er Impulse, die ich bisher immer fruchtbar umsetzten konnte. Schon allein der Aspekt, dass Linien einer Handschrift folgen …

… heute beim Malen war mein Vater im Sinne von Projektionen anwesend und dieser Drang, sich messen und beweisen zu wollen – obwohl die Sehnsüchte nach Langsamkeit, Verbundenheit und sanften Tönen überwiegen. Auf der eher mütterlichen Seite das Funktionelle, was sich aus der Gebärfähigkeit speist.

Ich nutze meinen Unachtsamkeit, um Akzente zu setzen. Ich weiß Papier zu schätzen. Bisher mochte ich nicht auf einer Leinwand malen. Seit Kurzem entdeckte ich für mich die Papierrolle, um mir mein Format zuschneiden oder reißen zu können. Gerade zu schneiden – funktioniert bei mir ohne Lineal nie … mittlerweile nutze ich diese (Un)fähigkeit radikal. So symbolisiert bereits das noch unbeschriebene Blatt eine Zerrissenheit.

Tom Waits „lief“ mir in Halle/Saale über den Weg. Ich war an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein zu einem „Kunstspezialistenlager“ für eine Woche angenommen worden. Ich erinnere mich kaum noch an diese Woche – außer dass ich in irgendeiner Weise überwältigt war und trotzdem nicht müde wurde zu hinterfragen, weshalb ich überhaupt daran teilnahm. An die Band, die Tom Waits spielte und an das Theaterstück des Puppentheaters erinnere ich mich noch sehr gut.

Später studierte ich in Halle/S. Soziologie als zweite Wahl und in meiner jugendlichen Naivität schien es mir vielversprechender (zumindest ließen sich meine Eltern davon überzeugen) für den zukünftigen Brotverdienst. Erstaunt über ein eher diffusen Berufsbild des Soziologen war ich nicht. Ich hatte es erwartet.

Nur heute bin ich erstaunt, dass sich manchmal der Eindruck festsetzt – ich sei mit der Kirche ums Dorf gelaufen und bin mit Mitte dreißig wieder am Anfang. Das Schreiben knüpft daran an. Erst gestern dachte ich erneut an den Drehbuchschreibkurs, weil ich auf Arte eine Dokumentation zu Samenbanken und künstlicher Befruchtung verfolgte, was sich in die begonnene Drehbuchgeschichte von mir als Thema wiederfand – nur für gleichgeschlechtliche Paare … ach und das Thema ist eigentlich total egal … vielleicht ärgere ich mich, dass ich eine Geschichte nicht einfach mal konsequent zu Ende schreibe.

Total schnuppe …. ob nun Drehbuch oder was auch immer … kann ja auch ein Prosatext sein … wenn ich ein Bild male, mache ich mir auch keine Gedanken über die Verwendung.

Ich halte es sogar aus, Bilder nicht zu zerstören. Ich frage mich, inwiefern ich beim Schreiben diesem Drang nach vermeintlich wahrheitsgetreuer Abbildung so wesentlich stärker durch die wissenschaftliche Ausbildung unterliege. Im Sinne – dass ich mir selbst nur die Berechtigung zum Schreiben von Geschichten geben – insofern ich dabei auf eigene Erfahrung zurückgreifen kann. Das ist doch echt dämlich! So verwischen die Welten immer wieder zwischen Fiktion und Realität. Oder ist es nicht sooo dämlich wie ich jetzt gerade wieder denke, weil es zum Schreibprozess dazu gehört und ich lernen „muss“, wie ich beim Schreiben viel stärker meinen Impulsen folgen kann und gleichzeitig eine gewisse Form von Dramaturgie integriere, um weder mich selbst im Erzählen zu verlieren noch abdrifte in Rechtfertigungen, Erklärungen und mundgerechten Stücken, die ich am besten vorkaut habe ….

…. puh … ich will seit Wochen all meine Aufzeichnungen sortieren und ein Notizbuch an mein Bettgestell binden und ein System entwickeln, wie ich Ideen wiederfinde …

am liebsten will ich dann noch einen Comic schreiben, eine Person finden, die illustriert, ein Kinderbuch wäre auch nett, und ein Hörspiel und tanzen und zusätzlich noch ein Ausbildungsmodul zu Regie, mit einer Freund_in Texte und Bilder gestalten zum Thema Abschied und eigentlich kann ich sofort mit dem Schlafen aufhören. Mein Körper soll endlich seine Klappe halten und mir nicht außerirdische Signale schicken, die mich verharren lassen, ob ich nicht doch eine Familie gründen will – die Lohnarbeit lege ich nieder und widme mich nur noch den Ideen, gründe kunsttherapeutische Gruppen, Künstler_innengruppen zum Austausch & Lästern über Vermarktungsmechanismen, die einem den letzten Nerv rauben und und und …

.. so schluß jetzt! – Ende für heute – Ich habe kein Standardformat – so ist das eben, alles krumm und schief – basta!

bernsteinfrau

… und mein kleines wohnzimmer mit eher schlechten lichtverhältnissen wird auch immer voller …

windSTILL

CAM00623

leer

wie ausgelaufene tinte

die sich durch die betonritzen

ihren weg ebnet

es ist windstill!

bernsteinfrau

samstag, 04.04.2015

Randnotiz

Karfreitag und darüber hinaus .,..

CAM00266Grundsätzliches …

Ich bediente mich früh (bereits in der Grundschule, wie alle anderen auch) dem Schreiben, um meiner Emotionalität und Gefühlswelt einen Ausdruck zu verleihen, den es im familiären Kontext in seiner Sensibilität und Geduld, der es für mich bedurft hätte, nicht gab. Die Ursachen für das Fehlen von emotionaler und empathischer Fürsorge sind sehr vielfältig und aus meiner Sicht nicht ungewöhnlicher als in anderen Familien, die Umbrüche, sozialen Abstieg und Entfremdung erleiden.

Das Malen trat später in mein Leben. In der Pubertät nutzte ich beides – Schreiben und Malen. Manchmal zog ich das Schreiben vor, weil ich hier zu einer größeren Klarheit und Transparenz neige – während das Malen – wie wohl so oft bei vielen Menschen – sehr einem Perfektionismus unterlag, im Sinne einer wenig hinterfragten, teilweise kleinbürgerlichen Ästhetik. Meine Mutter ist Anhängerin vom Sammeln von Porzellangänsen, Engeln aus dem Erzgebirge und diversen Schmuckgegenständen, die regungslos auf Abstellflächen von Anbauschrankwänden ihr Leben tristen. Der gedeckte Kaffeetisch musste meist ohne menschliche Begleitung auf Fotos festgehalten werden und an den Wänden hingen eher Bilder, die eine Untermalung jener Atmosphäre von scheinbarer Behaglichkeit und widerspruchsfreier Eindeutigkeit sein sollten. Während mein Vater in diesen Gestaltungsbereichen weniger Raum einnahm, obwohl hier und da sichtbar war, dass er zur See gefahren ist. Ich scheiterte an einer sogenannten wahrheitsgetreuen Abbildung der Realität, weil es mich langweilte und zu viel Verbissenheit kostete, was ich nie im Malprozess leisten wollte.

In meinem Herzen schlagen viele Seelen. Ich gehe von der Multiplizität des Selbst aus. Ich schreibe über meine Herkunft, Familie und Erlebnisse, um verständlich zu sein und etwas aufzuzeigen, was aus meiner Sicht exemplarisch für andere Menschen sein kann und mir selbst den Weg weist, den ich einerseits bereits abgelaufen bin und andererseits vor mir liegt.

Ich mag und verabscheue Kleinbürgerlichkeit. Und gerade deshalb fühle ich mich mit meiner Heimat, Familie und Herkunft sehr verbunden. Ich habe keinen Grund mit irgendetwas abzurechnen und Türen endgültig zu schließen.

Meine Familie ist meine Familie und denen fühle ich mich zugehörig – selbst in der Entfernung und Entfremdung. Ich habe das Glück, teilweise Antworten auf Fragen zu erhalten. Mein Großvater mütterlicherseits hat zwei Weltkriege erlebt und verantwortliche Funktionen eingenommen.Während der Großvater väterlicherseits für den Aufbau des sozialistischen System und die Umsetzung des Kommunismus kämpfte, damit aus seiner Perspektive die Gräueltaten des Nazi-Regimes sich nicht wiederholen. Der Glaube an eine Idee, Utopie und Vorstellung gehört trotz der Abwesenheit von Religion und Religiosität gewissermaßen zur Familientradition. Mein Vater, der sich weigerte in die „Partei“-fussstampfen seines Vaters zu treten und keinen Fuß nach dem Mauerfall fassen konnte.

Ich fühlte eine Form von Verpflichtung mich der Situation von DDR-Schriftsteller und das Verhältnis von Öffentlichkeit in der DDR als Diplomarbeit in der Soziologie anzunehmen.

Ich sah meine Eltern scheitern in einer Zeit, wo ich (und mein Bruder) selbst viel Orientierung nötig gehabt hätten. Ich versuchte mich sehr früh, der depressiven Stimmung, der Mutlosigkeit und Enttäuschung zu entziehen – vermutlich hier auch mit Überhöhung von Hoffnung, Zukunftsorientierung und Idealisierung von Menschen außerhalb des Familiensystems – weil mir klar war – ich muss weiterziehen. Für mich gibt es nicht Ost versus West und paradoxerweise habe ich all die Vorurteile und Stigmatisierungen verinnerlicht. Ich lernte theoretisch soziale Ungleichheit kennen, ohne ein Bewusstsein zu haben, dass es mich betraf in Form von Ausgrenzung, Chancenungleichheit und relativer Armut.

Darüber hinaus als Frau, deren Begehren nie eindeutig auf das männliche Geschlecht konzentriert war, sozialisiert zu sein – musste zwangsläufig auch hier die Auseinandersetzung, das Hinterfragen, innere Spiegeln und die Positionierung im Außen erfolgen.

Mich störte zunehmend die Kluft zwischen Theorie und Praxis. Zu Beginn meines beruflichen Lebens hatte ich ein Vorstellungsgespräch bei der Schering AG in Berlin. Ich spüre noch heute mein eigenes Verblüfft-sein, dass ein Unternehmen mich einlud, um mich selbst zu präsentieren. Ich war damals so erleichtert über mein Scheitern. Ich bin es noch heute …

Bereits als ich das Gebäude in Berlin betrat, wurde mir schlecht. Ich zog sogar einen Job im Call Center über eine Zeitarbeitsfirma vor, um den Gang – den ich von meinen Eltern sehr gut kannte – zum Arbeitsamt zu vermeiden.

2009 wechselte ich die Stadt und zog 500 Kilometer in die Ferne. Mir ging es in der Heimat mittlerweile sehr gut. Ich war etabliert und auf dem besten Weg mich beruflich im sozialen und frauenspezifischen Bereich weiter zu profilieren.

Dies unterscheidet mich. Ich gehörte zu denen, die sehr wohl über Gestaltungsräume verfügten. Wohl viel mehr – als in Großstädten, wo es solche Menschen mit viel größeren Spielräumen in den Bereichen von finanziellen Ressourcen, Kontakten , Talenten und Bildung (als ich sie je genossen habe) wie Sand am Meer gibt.

In der Fremde* musste ich mich zunächst daran gewöhnen, eher Außenseiter_in zu sein. Ich fühle eine stärkere Nähe und Verbundenheit zu Freund_innen, deren Eltern beispielsweise in Bulgarien leben. Ich bin gespalten, wenn ich an Wolf Biermann denke. Ich gehöre einer anderen Generation an und kämpfe mit Entwurzelung, einer Sehnsucht nach Heimat, Zugehörigkeit und Loyalität – in einer Epoche, wo mir als deutsche Staatsbürgerin und Inhaberin solch eines Reisepasses die ganze Welt offen steht.

Ich liebe die Großstadt, die Fragen nach Mehrheit und Minderheit zunehmend überflüssig erscheinen lässt, während Fragen nach sozialer Ungleichheit, Ausgrenzung und Armut immer drängender werden.

Ich habe selbst abgespalten auf verschiedenen Ebenen, um zunächst erst mal am neuen Ort ankommen zu können. So ist es jetzt an der Zeit, meinen bereits gegangenen Weg zu beschreiben. Ich klage nicht an. Ich bin dankbar und weiß um meine Privilegien und Ressourcen. Ich bin zufrieden, mich bewusst gegen bestimmte berufliche Stationen entschieden zu haben. Im Gegenzug darf ich erleben, wie es tatsächlich im Arbeitsalltag funktionieren kann in der Anerkennung und Wertschätzung von Unterschieden und Vielfältigkeit von Lebensverläufen.

Und auf dieser Basis erfolgt für mich die Beschreibung und all die Erinnerungen, die ich festhalten möchte, mit meiner eigenen Herkunft und Familie – selbst wenn manchmal Wut, Zorn und Ärger sich einmischen.

Der Mensch ist komplex und widersprüchlich. Spannungen sind Ambivalenzen, aus denen ich lerne. Ich sehe mich nicht als isoliert von anderen – selbst wenn ich sehr häufig aus meiner erlebten Perspektive berichte. Ich nutze die Ich-Perspektive, um Raum zu lassen für das Individuelle und Künstlerische und um weder das Soziologische noch das Psychologische gegeneinander auszuspielen.

Ich mache Fehler, und Scheitern als eine unausweichliche Konsequenz ist ein integraler Bestandteil des Alltags und gehört nicht in die Verbannung und verhindert, einem entmenschlichten Dogmatismus zu erliegen.

Meine Spurensuche ist nicht mehr oder weniger wichtig als die Spurensuche von anderen Menschen. Ich erinnere mich sehr genau, als wir im grünen Trabi im November 1989 die Grenze von Marienborn passierten. Die Freude und Euphorie und Sprachlosigkeit und ich erinnere mich an die tiefe Enttäuschung, Ernüchterung und Mutlosigkeit, die danach einsetze und eine andere Form von Sprachlosigkeit sich auf dem Sofa breit machte.

Spuren, Erinnerungen und Gefühle integrieren und vereinen – selbst wenn es auf den ersten Blick schier unüberwindbar widersprüchlich und in sich auflösend wirkt.

Grundsätzliches beim Schreiben über sexualisierte Gewalt und Gewalt (insbesondere gegen Frauen) …

Sexualität ist meiner Auffassung nach in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Tabu. Sexualität, Sinnlichkeit und Begehren trenne ich streng von sexualisierte Gewalt und Sexismus, was mir sehr notwendig scheint. Es ist kein Geheimnis, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur eine kleine Gruppe von Menschen betrifft. Für Frauen ist eher der häusliche, familiäre Bereich und in anderen sozialen Kontexten (Arbeitsplatz u.a.) eine Gefahrenzone, während Gewalt im öffentlichen Raum weniger geschlechtsspezifisch scheint (wobei ich keine konkreten Zahlen kenne und nennen kann).

Rassismus, Homophobie, Transphobie, Sexismus gehören ebenso in diesen Bereich von Gewalt. Der Begriff Gewalt kann verschiedene Facetten umfassen und den Begriff von Macht und Herrschaft einschließen.

Ich bin müde, was die theoretische und soziologische Ebene von Gewalt betrifft. Ebenso habe ich wenig Interesse an Fallberichten (die sicherlich sehr notwendig sind, um das Thema weiterhin aus der Grauzone zu holen) – mir sind Empowerment und das Auflösen von starren Täter_innen und Opfer*-Dynamiken wesentlich wichtiger und ein weitaus größeres Anliegen. So dass hier Doing und Undoing gender und das Hinterfragen von Männlichkeits- und Weiblichskeitsbilder/konstruktionen mir relevanter erscheinen als das Reproduzieren von Stereotype. Zudem – wenngleich dies zu selten in öffentlichen Diskussionen Erwähnung findet – häusliche Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen scheint (sofern es Zahlen darüber gibt) ebenso so häufig vorzukommen wie in heterosexuellen Beziehungen.(vgl.:http://www.broken-rainbow.de/material/BR_Bundeserhebung_02_04.pdf)

Um der Kluft zwischen Theorie und Praxis wenig Raum zu lassen, bedarf es der eigene biografische Auseinandersetzung. Verantwortung für das eigene Handeln und Gefühle übernehmen und den Fokus auf Stärkung von Ressourcen lenken und weniger die defizitäre Brille aufsetzen, die eher zu Schwarz-Weiß-Malerei tendiert. Zusätzlich bemerke ich, insofern sich immer mehr Begrifflichkeiten (wie (Cyber)Mobbing, Stalking, übergriffig u.a.) im alltäglichen Sprachgebrauch etablieren, um so weniger scheinen Fragen um Konfliktverhalten, Veränderungsprozesse durch persönliche Krisen und das Aushalten von unterschiedlichen Meinungen, Positionen und Werten eine Rolle zu spielen. Sich streiten, miteinander auseinandersetzen, anderen seine Meinung zumuten und Spannungen riskieren – und nicht immer die gleiche Haltung zu teilen und trotzdem in Kontakt und Beziehung zu bleiben – geräten in den Hintergrund. Während soziale Erwünschtheit und das vorab Assoziieren, was mein Gegenüber wohlwollend aufnimmt – scheinen dadurch ein höheren Stellenwert zu gewinnen. Anstatt den gesellschaftlichen Blick für menschenverachtende Aktionen, Darstellungen und Verhaltensweisen zu schärfen und Zivilcourage zu stärken.

Literaturtipps:

http://www.anschlaege.at/

http://maedchenmannschaft.net/

Ich besuchte eine Veranstaltung des Frauenfilmfestivals. Luise Reddemann (http://www.luise-reddemann.de/home/) saß im Podium und erzählte erfrischend, dass sie komplett auf Tagesschau im Privaten verzichtet. Manchmal bietet ihr der Arbeitsalltag genügend Einblick in das Weltgeschehen.

Bilder können für traumatisierte Menschen eine Zumutung und Trigger für Flashbacks sein. Dies möchte ich eher vermeiden. Es gibt genug davon.

Trotzdem will ich den Film „Festung“ empfehlen. Die Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen (http://de.wikipedia.org/wiki/Kirsi_Marie_Liimatainen) war mit Luise Reedemann im Podium, erzählte authentisch über das Entstehen des Films und welch sensibler Umgang ihr bei der Umsetzung des Drehbuchs wichtig war. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Der Film lässt Gewaltszenen erahnen und traut sich den Blick durch die Augen der Töchter, die als Teil der Gewaltdynamik schon früh eine große Last tragen müssen und sich manchmal so über Generationen hinweg Gewalt fortsetzen kann. Um so wichtiger ist es den Blick auf Empowerment und die Stärkung von Ressourcen zu richten. Damit es hier und da vielleicht gelingt die Spirale von häuslicher Gewalt nachhaltig zu durchbrechen.

Bedingt durch das Studium der Soziologie, Wahlfach Philosophie, Auseinandersetzung mit Gewaltfreier Kommunikation (M. Rosenberg), Mediation und diversen anderen Handwerkszeug, (Re)Traumatisierung und Flucht, Homophobie & Transphobie & Rassismus, (Re)Traumatisierung durch unsicheren Aufenthaltsstatus v.m. – unterliege ich hier selbst einem sich stets wandelnden Prozess – was Gewalt (immer im Zusammenhang mit Macht und strukturellen wie auch gesellschaftlichen Rahmenbedingungen), Grenzverletzung und grenzüberschreitendes Verhalten in Abgrenzung zum Verhalten in Konflikten, meiner eigenen Biografie und persönlichen Erfahrungen und verinnerlichten Stigmatisierungen, Vorurteilen und Ängsten bedeutet – hier wird es wohl vor allem in der Interaktion mit anderen Menschen immer wieder neue Aspekte, Überraschungen und Wendungen geben – einfach weil das Leben nicht berechenbar ist –

so schlagen in meinem Herzen viele Seelen und es genügt, wenn ich beim Schreiben dem Künstlerischem* den Vortritt lasse, mich nicht zwingen es in Form zu bringen – sondern den fließenden Übergängen und leisen Momenten meine Aufmerksamkeit schenke, was ebenso die Begegnung mit den eigenen (selbst)zerstörerischen Energien, Wunden und Gefühlen von Trauer, Verlassensein und Einsamkeit einschließt – es liegt in meiner Hand und in meiner Entscheidung, wie ich es kreativ umsetze, um möglichst einen lebensbejahenden Kreislauf darzustellen trotz Hürden, Hindernissen und Hemmungen …

. und so grundsätzlich wollte ich mir heute mal Zeit für diese grundsätzlich Randnotiz nehmen, die (wenn auch nicht immer sofort sichtbar und greifbar) den schöpferischen Prozess beeinflusst, verändert und (weiter)entwickelt …

 

 

Worte können Bilder malen …

Donnerstag, 02.04.2015

Zurzeit lese ich jeden Tag in einem Buch und manchmal sind es sogar verschiedene Bücher – zusätzlich griff ich zu nach zwei Romanen, die ein wenig warten müssen.

Heute beschäftigt mich wieder das das Drama um hochbegabte Frauen* (ich verwende hier bewusst genderbezogene Pronomen und Bezeichnungen, um Unterschiede sichtbar zu machen, damit ein Hinterfragen und die Suche nach Alternativen und Dekonstruktion möglicher werden). Schon wenn ich den Satz aufschreibe, machen sich Abwehr und eigene Abwertungsmechanismen bemerkbar. Im Herbst des Jahres 2013 hatte ich beschlossen, ich brauche dringend ein Coaching, um wieder etwas mehr Licht in meinen beruflichen Weg zu bringen.

Es ist interessant, wie ich mich selbst täusche. Ich (be)nutze spezifische professionelle Haltung und Erfahrung, um mir selbst eine Form von Nützlichkeit und Berechtigung zu erlauben, die allerdings mit reinem Denken und Reflektieren gar nicht fassbar werden können. Hinter diesem hochgesteckten Ziel stand vielmehr der Wunsch, endlich das Schreiben als einen festen Bestandteil meines Lebens anzuerkennen, zu integrieren und den Mut zu finden, dies offenherzig nach außen zu tragen.

Schon in der ersten Coachingstunde sprach ich über das Verhältnis zu meinen Eltern, so dass „Coaching“ an dieser Stelle lediglich als Brücke zu meinem therapeutischen Prozess, der längst überfällig war, sich schnell wandelte und das berufliche Ziel als eine grundsätzliche Suche nach Sinn enttarnte. Je tiefer ich in diesen Prozess einsteigen, umso mehr wächst in mir die Befürchtung ein eher zurückgezogenes Leben zu führen. Andererseits strafe ich diesen Gedanken als lächerlich ab – es verdeckt die Scham. Und zeigt nur den Teil, der sich ans Licht traut, weil es wohl eher höfliches Mitleid auslöst und weniger Widerstand und Konfrontation mit anderen bedeutet. Grabe ich nämlich tiefer, entdecke ich Stolz und eine Form von Befriedigung, die sich einstellt, wenn ich jeden Tag in Windeseile Silben und Worte aneinanderreihe mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, die mich manchmal ein wenig überrascht.

Trotzdem nagt die Unzufriedenheit bzw. die Vorstellung Ungenügend zu sein wütet – das Lesen, Schreiben, die innere Auseinandersetzung sind isolierte Tätigkeiten, die einerseits Zeit in Anspruch nehmen und andererseits Entscheidungen nach Prioritäten im alltäglichen Leben bedürfen. Das Unbehagen bezieht sich auf den fehlenden Familien- und Beziehungsstatus und Fragen nach Austausch und Abkehr von erlernten/verinnerlichten Beziehungsformen, die als Spiegel durch weibliche* Sozialisation an mir kleben – den übertragenden Ansprüchen nicht genügen und dafür einen Preis zu zahlen, den ich vielleicht (noch) nicht bereit bin in Kauf zu nehmen. Oder versteckt sich dahinter mehr der Wunsch nach Bestätigung und Bestärkung durch andere, die dich antreiben, weil es plötzlich wieder Sinn macht, Worte aufs Papier zu bringen?

In der Schulzeit nahm ich an Schreibwerkstätten teil. Ich wurde sogar bevorzugt. Ich hatte es in Gruppen schwer, mich laut zu zeigen. Der Schriftsteller Heinz Kruschel hat mich begleitet. Er schrieb mir Briefe, ermutigte mich und bemühte sich mein Talent für mich selbst sichtbar zu machen. Früh las ich Texte zu den Landesliteraturtagen in Sachsen-Anhalt. Ich traute mich allein, ohne elterliche Bestärkung – und vielleicht fehlte genau dieser Zuspruch, um zu lernen, wie ich Widerstände von anderen nutze und aushalte, damit es gelingt selbständig der Welt zu begegnen – ohne Lehrer, ohne Mentoren, ohne Ratgeber und ohne mir selbst ins Knie Begegnung in mir und  mit anderen als Schlüssel für das kreative Schreiben? 

Mittlerweile gibt es unzählige Schreibratgeber. Ich bin darüber ein wenig verwundert. Damals schrieb mir Heinz Kruschel noch mit Federhalter und Tinte Briefe, gab preis – welche Autoren ihn bewegten und was an meinen Gedichten und Texten ihn berührt und was weniger stimmig ist. Er wäre vermutlich nie auf die Idee gekommen, mir einen Schreibratgeber zu empfehlen. Es ging um Kontakt, Beziehung und Austausch – und dies hatte ich bitter nötig. Durch Heinz Kruschel lernte ich die Autorin Brigitte Reimann kennen, Gottfried Benn und fühlte mich getragen von dem Gedanken, mein eigenes Leben mit Schreiben auszufüllen. Ich sah mich wie Brigitte Reimann, die begierig die Lebendigkeit genoss –

Heute sehne ich mich nach solchen Orten, wie ich es als junge Frau erfahren durfte – ohne diese Facebooks-likes, mit handgeschriebenen Briefen und Begegnungen, die von anderen Autoren, Künstlern, Bildern, Texte, Gedichte geprägt sind – ohne die mögliche Veröffentlichung, den nächsten großen Fang auf dem Buch- oder Kunstmarkt in den Mittelpunkt zu rücken –

Es sind freundschaftliche Bindungen, die Einsamkeit und die manchmal sehr in sich zurückgezogene Tätigkeit des Schreibens und Malens teilen können –.

Immer mal wieder erprobe ich mich. Ringe um eine klare Struktur, der ich im Schreiben folgen will. Wie schreibe ich einen Krimi? Wie erzeuge ich Spannung? Was ist ein richtiger Roman? Wie schreibe ich bloß kein langweiliges Drehbuch?

ich scheitere! Ich sehe vor mir Brigitte Reimann, die auf die Tasten ihrer Schreibmaschine in Hoyerswerda klopft als sie mit ihrem Ehemann und Autor S. Pitschmann dem Ruf der Bitterfelder Wege folgte …

Ich mag die Poesie und weniger die strengen Regeln von Genres und die für mich quälenden Auseinandersetzungen nach Zielgruppe, Publikumsgeschmack und Vermarktungsmöglichkeiten.

Heute gibt es Studiengänge, Ratgeber, Workshops und Coaching – und trotzdem hilft es nicht – denn entscheidend ist (für mich), wie halte ich die Einsamkeit beim Schreiben aus – im Moment des Schreibens sitze ich mir selbst gegenüber, führe innere Monologe, male Bilder mit Worten und reise auf dem Papier – jedoch vielleicht nicht im realen Leben – ich liefere mich der Innenwelt aus und muss im Außen anderen gestehen, dass ich den Abend allein mit mir verbrachte.

Ich schreibe Sätze mit der Hand oder der Tastatur, übermale geht am PC nicht – hier lösche ich. Wie mit einem Tintenkiller, wenn ein Wort nicht schön genug scheint, der angreift und vernichtet.

Es gibt sogar Skriptcoaching – wofür ich vermutlich ziemlich viel Geld hinlegen muss, ohne am Ende zu wissen, wie gehe ich mit Widerständen um – wie setze ich mich für etwas ein, woran ich glaube, während andere vermuten, dass ich versagen werde.

Wer schreibt noch Abhandlungen, Briefe und Essays nur um in den Gedankenaustausch und Kontakt mit anderen zu treten – ohne ein therapeutisches, beraterisches oder erzieherisches Ziel zu verfolgen?

Die innere Vielfalt versus der äußeren Bewegtheit (Fähigkeiten wie Small talk, Reisefotos posten, likes sammeln, immer unterwegs sein, schreiben im zug, am bahnhof, in cafés – nur selten auf sich selbst und reduzierte Reize zurückgeworfen)

Ich lese jetzt Frauenbriefe aus der Romantik – ein Buch, was mir mein damaliger (Lebens)Partner zum 22.Geburtstag schenkte, uns verband das Schreiben und Lesen und uns trennte unterschiedliche, sich widersprechende Vorstellungen und Erwartungshaltungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und vermutlich der Nutzen einer Liebesbeziehung, die nicht im gemeinsamen Zeugen, Gebären und Erziehen von Kindern mündet.

Er wählte den akademisch-wissenschaftlichen Weg mit einer akademisch-wissenschaftlich orientierten Frau an seiner Seite und gründete eine Familie* … ich nicht …

und inwiefern ich selbst das Fehlen solcher Entscheidungen als Makel und Stigma betrachte, darin bin ich mir unschlüssig – vielleicht finde ich Antworten in Briefen von anderen Frauen oder woanders oder wo auch immer ….

„Es ist dieses Ringen um ein eigenes Selbst, das einem Menschen Stärke gibt, das eigene Selbst und gleichzeitig den Kontakt zu einer auf vielen Ebenen unwirklichen gesellschaftlichen Realität aufrechtzuerhalten. Aus solchem Ringen kommt auch Freude an der eigenen Lebendigkeit und der des anderen. Indem solch ein Selbst jedoch nicht ein abstraktes Bild eines Image ist, sondern ein Zustand der Verbundenheit mit den eigenen Gefühlen sowie mit denen der anderen, kann es nur bestehen, wenn das Ringen um solche Verbundenheit lebendig bleibt. […] Deswegen ist Lebendigkeit Wandel, nicht Beständigkeit: deshalb kommt Stabilität aus der Fähigkeit, Spannungen zu ertragen; und kein einzelner ist immun gegen die verführerischen Versprechungen einer konfliktfreien Existenz.“ (Arno Gruen aus: Der Verrat am Selbst. Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau. DTV-Verlag, 2009 S. 151)

Anmerkung: Natürlich sehe ich diese Auseinandersetzung nicht so im Absoluten Schwarz/Weiß und in einer Polarisierung zwischen Entweder/Oder und Wertung im Sinne eines Hierarchisieren, was besser oder schlechter sei – dies mag ich mir überhaupt nicht anmassen und unterliegt nicht meiner Einschätzung und Intention. 

stinknormaler mittwoch – schreibgehilfeALFmeldetsichzumdienst

01.04.2015

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einspluseinssindzwei pluseinspluseinssindvier plussiebzigtausend.sind unzählbar-langweilige zahlen.-am schafshimmel regnet es rosenblätter die dornen sind stumpf das blut vertrocknet in den-krampfadern—->>>bisderkopfganzleerzustaubverfällt!

Warte ich hole schnell einen lampen ….

….fahrstuhlistausgefallen.nimmdietreppen.

am besten zwei stufen auf einmal. passauf.

fallnicht.—–schneller wir kommen zuspät. was jetzt schon aus mit der putze. was soll erst mit dir werden…..

wenndusoaltbistwieich….

altwerdeichnicht.ohjemineeee gefühle zulassen und aushalten. nahsichselbstbleiben-ganz leise wippender kopf im takt der melancholie-nochnichtsatt.ungenügend gedient am hellerlichten tag.nichteinschlafen. duverpasstdeinen!!!zug.

woistdeineuhr.!!!!

hast

du

den herd

ausgeschaltet.

der vogel aus dem käfig ist längst ausgebrochen………derbrauchtkeinfuttermehr.

lassdas.

…warum kennst du kein gutennachtlied-

schließdochnichtimmerhinterdirdietür-

wir wollen nur teilhaben

-warumbistduimmersoanders-

washabenwirdirnurgetan-schlafjetzt-

sonst kannst du morgen nicht fleißigsein-ruhe-wirklich-

jetzt ist es allerhöchste eisenbahn! hast du auch ordentlich

deine kleidung gefaltet.damit-

wennnachtswaspassiert-du schnell alles wieder findest?

wenn ich groß bin, werde ich kranfahrerin!

Dienstag, 31.03.2015

wenn ich groß bin, werde ich ein dinoam freitag treffe ich mich mit anderen menschen, um das thema „masken- und rollenspiel“ – was zunächst auf der metaphysischen ebenen begann, in dem künstlerischen-kreativen prozess eine fassbare richtung zu verleihen –

einerseits möchte ich vorab zu wenig wie möglich vorbestimmen und andererseits geistern verschiedene vorstellungen, was ich gern probieren möchte, in meinem kopf herum. Heute griff zum katalog der ausstellung von ulrike rosenbach. Ich frage mich, wie es wohl wäre mit Menstruationsblut ein bild abzuschließen – der saft von rote beete war interessant – nur weniger dem weiblichen mythos unterlegen – und inwiefern ich mich selbst in form einer performance, die ich auf video festhalte, als eigene Maske nutze, um Unsichtbarkeit in den Mittelpunkt zu stellen und die Wandelbarkeit von körperlicher Präsenz während eine handwerklicher* Aktion vollzogen wird.

Außerdem fragte ich mich, inwiefern es möglich sei, den Ödipus-Komplex fernab von dichotomer Geschlechtlichkeit (männlich/weiblich) darzustellen. Heute beim Kaffee fiel mir ein, dass ich ja Arno Gruen im Bücherregal habe – und ich entschied mich noch mal gründlich das Kapitel „Die Entmenschlichung des Mannes und die Unterdrückung der Frau“ zu lesen.

Nur wie bringe ich all die Fäden zusammen … und weshalb ist mir es so wichtig? Ist die Angst vor der Menopause im Anmarsch, oder sind es die Fragen nach Einsamkeit und an welche sinnstiftenden Lebenszusammenhängen und Familien*konstellationen will ich mich binden? Oder lieber vorzugsweise der dornige Elfenbeinturm mit einer direkten Rutsche in die düsteren Kellerräume? Warum bin ich nur nicht Astronautin geworden?

Ich hänge für freitag meine videokamera erst mal an den Strom … immer schön einen schritt nach dem anderen …

Der Kranich, der nicht fliegen kann

Montag, 30.03.2015

falttechnikEnde Januar bzw. Anfang Februar besuchte ich einen Drehbuchschreibkurs, den ich schnell wieder abbrach. Heute beim Origamifalten (Kranich), nebenbei lief der Film „Psycho“ musste ich unweigerlich an den Kurs denken. Durch das Ende von „Psycho“ wurde mir plötzlich klar, wie stark und lange sich Begrifflichkeiten wie „Transvestiten“ halten und die psychoanalytischen Betrachtungen im alltäglichen Leben vorherrschen. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, weil mir einerseits im täglichen Leben und andererseits im Arbeitsalltag spezifische interdisziplinäre Haltungen selbstverständlich sind, so dass ich gar nicht mehr auf die Idee komme, es gäbe tatsächlich noch Menschen die sich nicht mit der Doing & Undoing gender, Intergeschlechtlichkeit, Transidentität auseinandergesetzt haben. Vor allem überrascht mich, wenn tatsächlich Geschlechtskonstruktionen mit dem sexuellen* Begehren (Heterosexualität, Homosexualität, Bisexualität, Asexualität u.a. – ich verwende den Begriff „Begehren“ nicht im Sinne von sexuellen Praktiken, sondern es erscheint mir an dieser Stelle sinnvoll von Begehren zu sprechen, um deutlich darauf zu verweisen, dass geschlechtliche Stereotype und Konstruktionen oder Verortungen zu trennen sind vom Begehren) gleichgesetzt werden. Alles ist wandelbar und diese Haltung/Philosophie schließt eben nicht Eltern-Projektionen aus, sondern vermeidet Stigmatisierung und Pathologisierung und schließt die eigene Sprechposition, Privilegien und Machtstruktur ein. Im Drehbuchschreibkurs fiel das Wort „Transvestit“ – ich reagiere meist auf solche Situationen mit Schweigen bzw. meine Stirn setzt sich wohl eher automatisch in Falten, so dass meine Mimik als Sprachrohr genügt und zudem bin ich getrieben durch den Wunsch etwas Verbindendes herzustellen und weniger Ablehnung, damit ein tieferes Verstehen und Verständnis eher möglich sind, als das Beharren auf „korrekte Begrifflichkeiten“ reiche ich lieber eine milde versöhnliche Hand.  Manchmal gelingt es und manchmal scheitert es. Erst kürzlich bin ich über ein neues Buch zum Thema „Psychoanalyse und Gender Studies“ gestoßen. Interessanterweise scheinen sich eher Frauen* mit der Thematik und inwiefern es für die praktische (therapeutische) Arbeit umsetzbar wird, zu befassen.

Ich bin glücklich, wenn die Membran zwischen den verschiedenen sozialen Systemen zunehmend durchlässiger und fragiler wird. Vermutlich verstärken solche Veränderungsprozesse Ängste und Sorgen, was hoffentlich in der wirklichen Begegnung zwischen Menschen mehr Achtsamkeit auf die Tagesordnung ruft. Vielleicht läuft irgendwann in der Zukunft eine Adaption von „Psycho“ mit einer neuen Interpretation und Ende.

Buchtipp: Obskure Differenzen. Psychoanalyse und Gender Studies http://www.psychosozial-verlag.de/2271

Alles ist wandelbar und dies nahezu in jeder Sekunde … und meine eigene weibliche* Eindeutigkeit durchbreche ich selbst immer wieder und dies mal mehr und mal weniger getrieben von gefühlten Abhängigkeiten und Unsicherheiten, die eine weibliche Sozialisation zu Zeiten des Umbruchs mit sich bringen. Ich bleibe mit mir im Prozess und gestatte mir eine durchlässige Membran …

mit jedem Kranich mehr – verfalle ich vielleicht erneut in die Schreiblust und führe die angefangene Geschichte aus dem Drehbuchschreibkurs möglicherweise zu einem geschriebenen Ende – vielleicht

Künstlerische Formen und Wege

Samstag und Sonntag – 28. & 29.03.2015

Kurz nach meinem Umzug – ich freute mich auf meine eigenen vier Wände, selbst wenn die Mieten in Großstädten unverschämt die Geldbörse schröpfen und aus diesem Grund ich mir nicht viel Wohnfläche leisten kann – trotzdem war es ein Fest. Ich bemerkte in mir den Wunsch, allein sein zu wollen. Keine (Zweck)WG. Genug Küche und Bad geteilt.

Nun saß ich auf meinem Bett und schaute übers Tablett noch TV. Plötzlich irritierte mich eine Spiegelung in der Balkontür. Zunächst blieb ich ungläubig und zweifelte an meiner Wahrnehmung. Irgendetwas zwang mich erneut zur Konzentration und es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Vor der Balkonbrüstung stand eine Person und filmte oder fotografierte mit einem Iphone in mein Schlafzimmer. (und nein ich saß es trotz Erdgeschosswohnung nicht ein, mich von Beginn an total mit all möglichen Sicherheitsstandards auszurüsten und einzuigeln) Ich hatte bereits einen Wen Do-Kurs hinter mir und zwang mich zur Besonnenheit und sofortigem Handeln. Natürlich fand ich in der Panik mein eigenes Handy nicht, um die Polizei rufen zu können. Ich gab nicht auf und klingelte mitten in der Nacht meinen Nachbarn aus seiner  Wohnung, der für mich auf dem Balkon, der sehr im Dunkeln liegt nachts, nach schauen sollte.

Nach dieser Aktion (und Telefonaten mit Freund_innen, die mir auch sofort Unterstützung anboten) entschied ich mich zusätzlich die Polizei zu informieren, machte Aushänge im Haus, um Öffentlichkeit herzustellen, informierte meine Nachbarin und die Angst wurde trotzdem nicht weniger. Auf keinen Fall wollte ich den Rückzug antreten. Ich war erst eingezogen und mochte die Wohnung und dies sollte so bleiben.

Ich musste sehr kämpfen, um nachts überhaupt noch schlafen zu können. Jedes Geräusch ließ mich aufhorchen und Erinnerungen an andere über griffige Situationen kreisten in meinem Kopf. So bald es dunkel war, traute ich mich nicht mehr auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen. Obwohl ich mir schwor, in der neue Wohnung nicht zu rauchen, brach ich dieses Versprechen.

Dies war der Moment mit dem Ausdrücken der Zigarette im Aschenbecher, der mir signalisierte, ich muss dringend für mich sorgen. Ebenso weigerte ich mich, die Empfehlung der Polizistin anzunehmen, die meinte, es mache Sinn den Balkon zumindest mit einem Katzenschutznetz zu umwickeln. Ich saß mich vor meinem inneren Auge als der Vogel im Käfig, der neidisch auf das Treiben im Außen starrt. Stattdessen pflanzte ich wie wild Blumen mit Dornen und Stacheln.

Nun bin ich über neun Monate rauchfrei. Die Ruhelosigkeit und das Wälzen im Bett nahmen rapide zu, bis ich mich auf meine inneren Stimmen einließ – erst mal wirres Durcheinander und die Frage tauchte auf, bin ich zu erschöpft oder bin ich zu wenig ausgelastet. Wie ein Kind, dass den Auftrag hat, sich selbst in den Schlaf zu wiegen und mit dieser Aufgabe heillos überfordert ist. Der Körper sendet ungewohnte Signale, die keine Befriedigung erfahren, weil es dafür noch keine passenden Räume gibt.

So galt es mir Räume zu suchen, auszutesten und Vertrauen zu gewinnen und zu halten. Ich ging mehrfach in der Woche schwimmen. Das Wasser half mir, mich selbst tragen zu können. Nur die Angst blieb. Letztlich nach längere Überlegungen war ich überzeugt, eine Probestunde in der Frauenkarateschule Chikara erleben zu wollen. Und dort blieb ich.

Erstaunlicherweise verzog sich die Angst sehr höflich und dezent in den Hintergrund. Schnell spürte ich die Auseinandersetzung mit meinem Körper und der eigenen innewohnenden Aggression, die in Form von Kraft und Energie ein Ventil nach außen sucht, um geistig und körperlich präsent sein zu können. Der Kiai blieb mir im Halse stecken, bis ich fühlte – dass der Kampfschrei die gesamte Kraft meiner Atmung und Energie symbolisierte. Wenn heute – nach sieben Monaten Karatetraining – ein Kiai nicht gelingt, bin ich versöhnlich. Die Stille und der Fluss von Energien sind nicht berechenbar und manchmal versagt die Energie mitten auf dem Weg, um sich neu sammeln und bündeln zu können. Ich nutze im künstlerischen Prozess Überschreibungen im Bild – nicht um zu verstecken – sondern um korrigierenden Erfahrungen eine Möglichkeit der Entfaltung zu geben. Nach einem Wochenende und eine Einführung in das Schauspiel sah ich die Verbindungen zur Kampfkunst. Der Boden des Dojos eine Bühne, auf dem Wiederholungen geübt werden. Die Übung der Wiederholung ist Kunst. Sich in die Bewegungen der Partner_innen einzulassen, ohne das eigene Tempo aus dem Blick zu verlieren und ohne in ein stupides Funktionieren und Nachahmen zu verfallen. Das Roboter_innendasein ablegen und in die Augen des Gegenübers blicken, zu Überraschungen bereit, um den gemeinsamen Flow genießen zu können. Gestern probte ich in einem vierstündigen Workshop den Stockkampf. Eine Waffe* als Verlängerung und Bestärkung des eigen Körpers. Sich der eigenen machtvollen Position bewusst werden, abwehren und angreifen. Es ist eine Kraft, die ihre Zartheit und Zerbrechlichkeit beschützt und bestärkt mit Ausdruck und Kommunikation, die ein Sprechen über etwas, überflüssig macht.

Schon nach der ersten Karatestunde war ich begeistert – vor allem kein sich beweisen müssen – in einer verbissenen Form von Überlegenheit und jemanden besiegen zu wollen/müssen – keine plumpe Demonstration von Kraft und Stärke – sondern die innere Steifheit loslassen, um dem Körper Bewegungsfreiheit zu schenken. Mich hinderte zunächst die eigene verinnerlichte Vorstellung von Hierarchie und Unterlegenheit. Es war mir ein Bedürfnis meinen schwarzen Keikogi selbstbestimmt zu kaufen. Ich beschloss, solange es einen Teil in mir gibt, der den den Karateanzug mit einer konformen Uniform assoziiert, ist es für mich zu früh, um respektvoll den Gi (Kurzform von Keikogi) aus meinem Dojo zu tragen.

Seit einigen Tagen fühle ich eine immer stärker werdende Veränderung – und für das Malen brauche ich ebenfalls Kleidung. Ich werde wohl bald wechseln. Ein Gi aus meinem Dojo fürs Karatetraining und ein bereits getragener Gi ohne Gürtel fürs Malen. Ebenso hänge ich am Weißgurt – der Schnee liegt auf der Landschaft. Der Anfängergeist im täglichen Leben. Manchmal leide ich unter meinen eigenen Enge, suche in Büchern nach Notausgängen und bin wiederum getrieben vom Zweifel, der anklopft und hinterfragt, inwiefern der Prozess lebendiger in sich wachsen kann, ohne Bücher als Wegweiser aufzuklappen. Natürlich wollte ich von meiner Sensei wissen, ob es darüber ein Buch gibt – sie empfahl mir von Daisetz T. Suzuki: „Zen und die Kunst zu siegen, ohne zu kämpfen“ und eine Textstelle, die ich spontan aufschlug, scheint mir ein gelungener Abschluss für meinen (auf)geschriebenen Weg am heutigen Sonntag:

„Im kendo (Schwert-Weg) kommt es neben dem Element der Technik vor allem auf das spirituelle Element an, das die Kunst in allen Teilen und Phasen beherrscht. Gemeint ist ein Geisteszustand, der munen oder muso – „Nicht-Denken“ oder „Nicht-Reflexion“ genannt wird. Das heißt mehr als bloß frei zu sein von Gedanken, Ideen, Gefühlen und so weiter, wenn man mit dem Schwert in der Hand dem Gegner gegenüber steht. […] Diesen Geisteszustand nennt man auch „Ichlosigkeit“ oder „Nicht-Ich“; man hegt hier keine ichbezogenen Gedanken, ist völlig frei vom Bewusstsein eigener Leistungen und Errungenschaften. Der sogenannte Geist des „Allein“ […]“ (S. 65, Verlag Herder: 1999)

https://www.youtube.com/watch?v=8_TjI_g1cz8