Randnotiz

Karfreitag und darüber hinaus .,..

CAM00266Grundsätzliches …

Ich bediente mich früh (bereits in der Grundschule, wie alle anderen auch) dem Schreiben, um meiner Emotionalität und Gefühlswelt einen Ausdruck zu verleihen, den es im familiären Kontext in seiner Sensibilität und Geduld, der es für mich bedurft hätte, nicht gab. Die Ursachen für das Fehlen von emotionaler und empathischer Fürsorge sind sehr vielfältig und aus meiner Sicht nicht ungewöhnlicher als in anderen Familien, die Umbrüche, sozialen Abstieg und Entfremdung erleiden.

Das Malen trat später in mein Leben. In der Pubertät nutzte ich beides – Schreiben und Malen. Manchmal zog ich das Schreiben vor, weil ich hier zu einer größeren Klarheit und Transparenz neige – während das Malen – wie wohl so oft bei vielen Menschen – sehr einem Perfektionismus unterlag, im Sinne einer wenig hinterfragten, teilweise kleinbürgerlichen Ästhetik. Meine Mutter ist Anhängerin vom Sammeln von Porzellangänsen, Engeln aus dem Erzgebirge und diversen Schmuckgegenständen, die regungslos auf Abstellflächen von Anbauschrankwänden ihr Leben tristen. Der gedeckte Kaffeetisch musste meist ohne menschliche Begleitung auf Fotos festgehalten werden und an den Wänden hingen eher Bilder, die eine Untermalung jener Atmosphäre von scheinbarer Behaglichkeit und widerspruchsfreier Eindeutigkeit sein sollten. Während mein Vater in diesen Gestaltungsbereichen weniger Raum einnahm, obwohl hier und da sichtbar war, dass er zur See gefahren ist. Ich scheiterte an einer sogenannten wahrheitsgetreuen Abbildung der Realität, weil es mich langweilte und zu viel Verbissenheit kostete, was ich nie im Malprozess leisten wollte.

In meinem Herzen schlagen viele Seelen. Ich gehe von der Multiplizität des Selbst aus. Ich schreibe über meine Herkunft, Familie und Erlebnisse, um verständlich zu sein und etwas aufzuzeigen, was aus meiner Sicht exemplarisch für andere Menschen sein kann und mir selbst den Weg weist, den ich einerseits bereits abgelaufen bin und andererseits vor mir liegt.

Ich mag und verabscheue Kleinbürgerlichkeit. Und gerade deshalb fühle ich mich mit meiner Heimat, Familie und Herkunft sehr verbunden. Ich habe keinen Grund mit irgendetwas abzurechnen und Türen endgültig zu schließen.

Meine Familie ist meine Familie und denen fühle ich mich zugehörig – selbst in der Entfernung und Entfremdung. Ich habe das Glück, teilweise Antworten auf Fragen zu erhalten. Mein Großvater mütterlicherseits hat zwei Weltkriege erlebt und verantwortliche Funktionen eingenommen.Während der Großvater väterlicherseits für den Aufbau des sozialistischen System und die Umsetzung des Kommunismus kämpfte, damit aus seiner Perspektive die Gräueltaten des Nazi-Regimes sich nicht wiederholen. Der Glaube an eine Idee, Utopie und Vorstellung gehört trotz der Abwesenheit von Religion und Religiosität gewissermaßen zur Familientradition. Mein Vater, der sich weigerte in die „Partei“-fussstampfen seines Vaters zu treten und keinen Fuß nach dem Mauerfall fassen konnte.

Ich fühlte eine Form von Verpflichtung mich der Situation von DDR-Schriftsteller und das Verhältnis von Öffentlichkeit in der DDR als Diplomarbeit in der Soziologie anzunehmen.

Ich sah meine Eltern scheitern in einer Zeit, wo ich (und mein Bruder) selbst viel Orientierung nötig gehabt hätten. Ich versuchte mich sehr früh, der depressiven Stimmung, der Mutlosigkeit und Enttäuschung zu entziehen – vermutlich hier auch mit Überhöhung von Hoffnung, Zukunftsorientierung und Idealisierung von Menschen außerhalb des Familiensystems – weil mir klar war – ich muss weiterziehen. Für mich gibt es nicht Ost versus West und paradoxerweise habe ich all die Vorurteile und Stigmatisierungen verinnerlicht. Ich lernte theoretisch soziale Ungleichheit kennen, ohne ein Bewusstsein zu haben, dass es mich betraf in Form von Ausgrenzung, Chancenungleichheit und relativer Armut.

Darüber hinaus als Frau, deren Begehren nie eindeutig auf das männliche Geschlecht konzentriert war, sozialisiert zu sein – musste zwangsläufig auch hier die Auseinandersetzung, das Hinterfragen, innere Spiegeln und die Positionierung im Außen erfolgen.

Mich störte zunehmend die Kluft zwischen Theorie und Praxis. Zu Beginn meines beruflichen Lebens hatte ich ein Vorstellungsgespräch bei der Schering AG in Berlin. Ich spüre noch heute mein eigenes Verblüfft-sein, dass ein Unternehmen mich einlud, um mich selbst zu präsentieren. Ich war damals so erleichtert über mein Scheitern. Ich bin es noch heute …

Bereits als ich das Gebäude in Berlin betrat, wurde mir schlecht. Ich zog sogar einen Job im Call Center über eine Zeitarbeitsfirma vor, um den Gang – den ich von meinen Eltern sehr gut kannte – zum Arbeitsamt zu vermeiden.

2009 wechselte ich die Stadt und zog 500 Kilometer in die Ferne. Mir ging es in der Heimat mittlerweile sehr gut. Ich war etabliert und auf dem besten Weg mich beruflich im sozialen und frauenspezifischen Bereich weiter zu profilieren.

Dies unterscheidet mich. Ich gehörte zu denen, die sehr wohl über Gestaltungsräume verfügten. Wohl viel mehr – als in Großstädten, wo es solche Menschen mit viel größeren Spielräumen in den Bereichen von finanziellen Ressourcen, Kontakten , Talenten und Bildung (als ich sie je genossen habe) wie Sand am Meer gibt.

In der Fremde* musste ich mich zunächst daran gewöhnen, eher Außenseiter_in zu sein. Ich fühle eine stärkere Nähe und Verbundenheit zu Freund_innen, deren Eltern beispielsweise in Bulgarien leben. Ich bin gespalten, wenn ich an Wolf Biermann denke. Ich gehöre einer anderen Generation an und kämpfe mit Entwurzelung, einer Sehnsucht nach Heimat, Zugehörigkeit und Loyalität – in einer Epoche, wo mir als deutsche Staatsbürgerin und Inhaberin solch eines Reisepasses die ganze Welt offen steht.

Ich liebe die Großstadt, die Fragen nach Mehrheit und Minderheit zunehmend überflüssig erscheinen lässt, während Fragen nach sozialer Ungleichheit, Ausgrenzung und Armut immer drängender werden.

Ich habe selbst abgespalten auf verschiedenen Ebenen, um zunächst erst mal am neuen Ort ankommen zu können. So ist es jetzt an der Zeit, meinen bereits gegangenen Weg zu beschreiben. Ich klage nicht an. Ich bin dankbar und weiß um meine Privilegien und Ressourcen. Ich bin zufrieden, mich bewusst gegen bestimmte berufliche Stationen entschieden zu haben. Im Gegenzug darf ich erleben, wie es tatsächlich im Arbeitsalltag funktionieren kann in der Anerkennung und Wertschätzung von Unterschieden und Vielfältigkeit von Lebensverläufen.

Und auf dieser Basis erfolgt für mich die Beschreibung und all die Erinnerungen, die ich festhalten möchte, mit meiner eigenen Herkunft und Familie – selbst wenn manchmal Wut, Zorn und Ärger sich einmischen.

Der Mensch ist komplex und widersprüchlich. Spannungen sind Ambivalenzen, aus denen ich lerne. Ich sehe mich nicht als isoliert von anderen – selbst wenn ich sehr häufig aus meiner erlebten Perspektive berichte. Ich nutze die Ich-Perspektive, um Raum zu lassen für das Individuelle und Künstlerische und um weder das Soziologische noch das Psychologische gegeneinander auszuspielen.

Ich mache Fehler, und Scheitern als eine unausweichliche Konsequenz ist ein integraler Bestandteil des Alltags und gehört nicht in die Verbannung und verhindert, einem entmenschlichten Dogmatismus zu erliegen.

Meine Spurensuche ist nicht mehr oder weniger wichtig als die Spurensuche von anderen Menschen. Ich erinnere mich sehr genau, als wir im grünen Trabi im November 1989 die Grenze von Marienborn passierten. Die Freude und Euphorie und Sprachlosigkeit und ich erinnere mich an die tiefe Enttäuschung, Ernüchterung und Mutlosigkeit, die danach einsetze und eine andere Form von Sprachlosigkeit sich auf dem Sofa breit machte.

Spuren, Erinnerungen und Gefühle integrieren und vereinen – selbst wenn es auf den ersten Blick schier unüberwindbar widersprüchlich und in sich auflösend wirkt.

Grundsätzliches beim Schreiben über sexualisierte Gewalt und Gewalt (insbesondere gegen Frauen) …

Sexualität ist meiner Auffassung nach in allen gesellschaftlichen Bereichen ein Tabu. Sexualität, Sinnlichkeit und Begehren trenne ich streng von sexualisierte Gewalt und Sexismus, was mir sehr notwendig scheint. Es ist kein Geheimnis, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur eine kleine Gruppe von Menschen betrifft. Für Frauen ist eher der häusliche, familiäre Bereich und in anderen sozialen Kontexten (Arbeitsplatz u.a.) eine Gefahrenzone, während Gewalt im öffentlichen Raum weniger geschlechtsspezifisch scheint (wobei ich keine konkreten Zahlen kenne und nennen kann).

Rassismus, Homophobie, Transphobie, Sexismus gehören ebenso in diesen Bereich von Gewalt. Der Begriff Gewalt kann verschiedene Facetten umfassen und den Begriff von Macht und Herrschaft einschließen.

Ich bin müde, was die theoretische und soziologische Ebene von Gewalt betrifft. Ebenso habe ich wenig Interesse an Fallberichten (die sicherlich sehr notwendig sind, um das Thema weiterhin aus der Grauzone zu holen) – mir sind Empowerment und das Auflösen von starren Täter_innen und Opfer*-Dynamiken wesentlich wichtiger und ein weitaus größeres Anliegen. So dass hier Doing und Undoing gender und das Hinterfragen von Männlichkeits- und Weiblichskeitsbilder/konstruktionen mir relevanter erscheinen als das Reproduzieren von Stereotype. Zudem – wenngleich dies zu selten in öffentlichen Diskussionen Erwähnung findet – häusliche Gewalt in gleichgeschlechtlichen Beziehungen scheint (sofern es Zahlen darüber gibt) ebenso so häufig vorzukommen wie in heterosexuellen Beziehungen.(vgl.:http://www.broken-rainbow.de/material/BR_Bundeserhebung_02_04.pdf)

Um der Kluft zwischen Theorie und Praxis wenig Raum zu lassen, bedarf es der eigene biografische Auseinandersetzung. Verantwortung für das eigene Handeln und Gefühle übernehmen und den Fokus auf Stärkung von Ressourcen lenken und weniger die defizitäre Brille aufsetzen, die eher zu Schwarz-Weiß-Malerei tendiert. Zusätzlich bemerke ich, insofern sich immer mehr Begrifflichkeiten (wie (Cyber)Mobbing, Stalking, übergriffig u.a.) im alltäglichen Sprachgebrauch etablieren, um so weniger scheinen Fragen um Konfliktverhalten, Veränderungsprozesse durch persönliche Krisen und das Aushalten von unterschiedlichen Meinungen, Positionen und Werten eine Rolle zu spielen. Sich streiten, miteinander auseinandersetzen, anderen seine Meinung zumuten und Spannungen riskieren – und nicht immer die gleiche Haltung zu teilen und trotzdem in Kontakt und Beziehung zu bleiben – geräten in den Hintergrund. Während soziale Erwünschtheit und das vorab Assoziieren, was mein Gegenüber wohlwollend aufnimmt – scheinen dadurch ein höheren Stellenwert zu gewinnen. Anstatt den gesellschaftlichen Blick für menschenverachtende Aktionen, Darstellungen und Verhaltensweisen zu schärfen und Zivilcourage zu stärken.

Literaturtipps:

http://www.anschlaege.at/

http://maedchenmannschaft.net/

Ich besuchte eine Veranstaltung des Frauenfilmfestivals. Luise Reddemann (http://www.luise-reddemann.de/home/) saß im Podium und erzählte erfrischend, dass sie komplett auf Tagesschau im Privaten verzichtet. Manchmal bietet ihr der Arbeitsalltag genügend Einblick in das Weltgeschehen.

Bilder können für traumatisierte Menschen eine Zumutung und Trigger für Flashbacks sein. Dies möchte ich eher vermeiden. Es gibt genug davon.

Trotzdem will ich den Film „Festung“ empfehlen. Die Regisseurin Kirsi Marie Liimatainen (http://de.wikipedia.org/wiki/Kirsi_Marie_Liimatainen) war mit Luise Reedemann im Podium, erzählte authentisch über das Entstehen des Films und welch sensibler Umgang ihr bei der Umsetzung des Drehbuchs wichtig war. Das hat mich nachhaltig beeindruckt. Der Film lässt Gewaltszenen erahnen und traut sich den Blick durch die Augen der Töchter, die als Teil der Gewaltdynamik schon früh eine große Last tragen müssen und sich manchmal so über Generationen hinweg Gewalt fortsetzen kann. Um so wichtiger ist es den Blick auf Empowerment und die Stärkung von Ressourcen zu richten. Damit es hier und da vielleicht gelingt die Spirale von häuslicher Gewalt nachhaltig zu durchbrechen.

Bedingt durch das Studium der Soziologie, Wahlfach Philosophie, Auseinandersetzung mit Gewaltfreier Kommunikation (M. Rosenberg), Mediation und diversen anderen Handwerkszeug, (Re)Traumatisierung und Flucht, Homophobie & Transphobie & Rassismus, (Re)Traumatisierung durch unsicheren Aufenthaltsstatus v.m. – unterliege ich hier selbst einem sich stets wandelnden Prozess – was Gewalt (immer im Zusammenhang mit Macht und strukturellen wie auch gesellschaftlichen Rahmenbedingungen), Grenzverletzung und grenzüberschreitendes Verhalten in Abgrenzung zum Verhalten in Konflikten, meiner eigenen Biografie und persönlichen Erfahrungen und verinnerlichten Stigmatisierungen, Vorurteilen und Ängsten bedeutet – hier wird es wohl vor allem in der Interaktion mit anderen Menschen immer wieder neue Aspekte, Überraschungen und Wendungen geben – einfach weil das Leben nicht berechenbar ist –

so schlagen in meinem Herzen viele Seelen und es genügt, wenn ich beim Schreiben dem Künstlerischem* den Vortritt lasse, mich nicht zwingen es in Form zu bringen – sondern den fließenden Übergängen und leisen Momenten meine Aufmerksamkeit schenke, was ebenso die Begegnung mit den eigenen (selbst)zerstörerischen Energien, Wunden und Gefühlen von Trauer, Verlassensein und Einsamkeit einschließt – es liegt in meiner Hand und in meiner Entscheidung, wie ich es kreativ umsetze, um möglichst einen lebensbejahenden Kreislauf darzustellen trotz Hürden, Hindernissen und Hemmungen …

. und so grundsätzlich wollte ich mir heute mal Zeit für diese grundsätzlich Randnotiz nehmen, die (wenn auch nicht immer sofort sichtbar und greifbar) den schöpferischen Prozess beeinflusst, verändert und (weiter)entwickelt …