Donnerstag, 02.04.2015
Zurzeit lese ich jeden Tag in einem Buch und manchmal sind es sogar verschiedene Bücher – zusätzlich griff ich zu nach zwei Romanen, die ein wenig warten müssen.
Heute beschäftigt mich wieder das das Drama um hochbegabte Frauen* (ich verwende hier bewusst genderbezogene Pronomen und Bezeichnungen, um Unterschiede sichtbar zu machen, damit ein Hinterfragen und die Suche nach Alternativen und Dekonstruktion möglicher werden). Schon wenn ich den Satz aufschreibe, machen sich Abwehr und eigene Abwertungsmechanismen bemerkbar. Im Herbst des Jahres 2013 hatte ich beschlossen, ich brauche dringend ein Coaching, um wieder etwas mehr Licht in meinen beruflichen Weg zu bringen.
Es ist interessant, wie ich mich selbst täusche. Ich (be)nutze spezifische professionelle Haltung und Erfahrung, um mir selbst eine Form von Nützlichkeit und Berechtigung zu erlauben, die allerdings mit reinem Denken und Reflektieren gar nicht fassbar werden können. Hinter diesem hochgesteckten Ziel stand vielmehr der Wunsch, endlich das Schreiben als einen festen Bestandteil meines Lebens anzuerkennen, zu integrieren und den Mut zu finden, dies offenherzig nach außen zu tragen.
Schon in der ersten Coachingstunde sprach ich über das Verhältnis zu meinen Eltern, so dass „Coaching“ an dieser Stelle lediglich als Brücke zu meinem therapeutischen Prozess, der längst überfällig war, sich schnell wandelte und das berufliche Ziel als eine grundsätzliche Suche nach Sinn enttarnte. Je tiefer ich in diesen Prozess einsteigen, umso mehr wächst in mir die Befürchtung ein eher zurückgezogenes Leben zu führen. Andererseits strafe ich diesen Gedanken als lächerlich ab – es verdeckt die Scham. Und zeigt nur den Teil, der sich ans Licht traut, weil es wohl eher höfliches Mitleid auslöst und weniger Widerstand und Konfrontation mit anderen bedeutet. Grabe ich nämlich tiefer, entdecke ich Stolz und eine Form von Befriedigung, die sich einstellt, wenn ich jeden Tag in Windeseile Silben und Worte aneinanderreihe mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, die mich manchmal ein wenig überrascht.
Trotzdem nagt die Unzufriedenheit bzw. die Vorstellung Ungenügend zu sein wütet – das Lesen, Schreiben, die innere Auseinandersetzung sind isolierte Tätigkeiten, die einerseits Zeit in Anspruch nehmen und andererseits Entscheidungen nach Prioritäten im alltäglichen Leben bedürfen. Das Unbehagen bezieht sich auf den fehlenden Familien- und Beziehungsstatus und Fragen nach Austausch und Abkehr von erlernten/verinnerlichten Beziehungsformen, die als Spiegel durch weibliche* Sozialisation an mir kleben – den übertragenden Ansprüchen nicht genügen und dafür einen Preis zu zahlen, den ich vielleicht (noch) nicht bereit bin in Kauf zu nehmen. Oder versteckt sich dahinter mehr der Wunsch nach Bestätigung und Bestärkung durch andere, die dich antreiben, weil es plötzlich wieder Sinn macht, Worte aufs Papier zu bringen?
In der Schulzeit nahm ich an Schreibwerkstätten teil. Ich wurde sogar bevorzugt. Ich hatte es in Gruppen schwer, mich laut zu zeigen. Der Schriftsteller Heinz Kruschel hat mich begleitet. Er schrieb mir Briefe, ermutigte mich und bemühte sich mein Talent für mich selbst sichtbar zu machen. Früh las ich Texte zu den Landesliteraturtagen in Sachsen-Anhalt. Ich traute mich allein, ohne elterliche Bestärkung – und vielleicht fehlte genau dieser Zuspruch, um zu lernen, wie ich Widerstände von anderen nutze und aushalte, damit es gelingt selbständig der Welt zu begegnen – ohne Lehrer, ohne Mentoren, ohne Ratgeber und ohne mir selbst ins Knie Begegnung in mir und mit anderen als Schlüssel für das kreative Schreiben?
Mittlerweile gibt es unzählige Schreibratgeber. Ich bin darüber ein wenig verwundert. Damals schrieb mir Heinz Kruschel noch mit Federhalter und Tinte Briefe, gab preis – welche Autoren ihn bewegten und was an meinen Gedichten und Texten ihn berührt und was weniger stimmig ist. Er wäre vermutlich nie auf die Idee gekommen, mir einen Schreibratgeber zu empfehlen. Es ging um Kontakt, Beziehung und Austausch – und dies hatte ich bitter nötig. Durch Heinz Kruschel lernte ich die Autorin Brigitte Reimann kennen, Gottfried Benn und fühlte mich getragen von dem Gedanken, mein eigenes Leben mit Schreiben auszufüllen. Ich sah mich wie Brigitte Reimann, die begierig die Lebendigkeit genoss –
Heute sehne ich mich nach solchen Orten, wie ich es als junge Frau erfahren durfte – ohne diese Facebooks-likes, mit handgeschriebenen Briefen und Begegnungen, die von anderen Autoren, Künstlern, Bildern, Texte, Gedichte geprägt sind – ohne die mögliche Veröffentlichung, den nächsten großen Fang auf dem Buch- oder Kunstmarkt in den Mittelpunkt zu rücken –
Es sind freundschaftliche Bindungen, die Einsamkeit und die manchmal sehr in sich zurückgezogene Tätigkeit des Schreibens und Malens teilen können –.
Immer mal wieder erprobe ich mich. Ringe um eine klare Struktur, der ich im Schreiben folgen will. Wie schreibe ich einen Krimi? Wie erzeuge ich Spannung? Was ist ein richtiger Roman? Wie schreibe ich bloß kein langweiliges Drehbuch?
ich scheitere! Ich sehe vor mir Brigitte Reimann, die auf die Tasten ihrer Schreibmaschine in Hoyerswerda klopft als sie mit ihrem Ehemann und Autor S. Pitschmann dem Ruf der Bitterfelder Wege folgte …
Ich mag die Poesie und weniger die strengen Regeln von Genres und die für mich quälenden Auseinandersetzungen nach Zielgruppe, Publikumsgeschmack und Vermarktungsmöglichkeiten.
Heute gibt es Studiengänge, Ratgeber, Workshops und Coaching – und trotzdem hilft es nicht – denn entscheidend ist (für mich), wie halte ich die Einsamkeit beim Schreiben aus – im Moment des Schreibens sitze ich mir selbst gegenüber, führe innere Monologe, male Bilder mit Worten und reise auf dem Papier – jedoch vielleicht nicht im realen Leben – ich liefere mich der Innenwelt aus und muss im Außen anderen gestehen, dass ich den Abend allein mit mir verbrachte.
Ich schreibe Sätze mit der Hand oder der Tastatur, übermale geht am PC nicht – hier lösche ich. Wie mit einem Tintenkiller, wenn ein Wort nicht schön genug scheint, der angreift und vernichtet.
Es gibt sogar Skriptcoaching – wofür ich vermutlich ziemlich viel Geld hinlegen muss, ohne am Ende zu wissen, wie gehe ich mit Widerständen um – wie setze ich mich für etwas ein, woran ich glaube, während andere vermuten, dass ich versagen werde.
Wer schreibt noch Abhandlungen, Briefe und Essays nur um in den Gedankenaustausch und Kontakt mit anderen zu treten – ohne ein therapeutisches, beraterisches oder erzieherisches Ziel zu verfolgen?
Die innere Vielfalt versus der äußeren Bewegtheit (Fähigkeiten wie Small talk, Reisefotos posten, likes sammeln, immer unterwegs sein, schreiben im zug, am bahnhof, in cafés – nur selten auf sich selbst und reduzierte Reize zurückgeworfen)
Ich lese jetzt Frauenbriefe aus der Romantik – ein Buch, was mir mein damaliger (Lebens)Partner zum 22.Geburtstag schenkte, uns verband das Schreiben und Lesen und uns trennte unterschiedliche, sich widersprechende Vorstellungen und Erwartungshaltungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und vermutlich der Nutzen einer Liebesbeziehung, die nicht im gemeinsamen Zeugen, Gebären und Erziehen von Kindern mündet.
Er wählte den akademisch-wissenschaftlichen Weg mit einer akademisch-wissenschaftlich orientierten Frau an seiner Seite und gründete eine Familie* … ich nicht …
… und inwiefern ich selbst das Fehlen solcher Entscheidungen als Makel und Stigma betrachte, darin bin ich mir unschlüssig – vielleicht finde ich Antworten in Briefen von anderen Frauen oder woanders oder wo auch immer ….
„Es ist dieses Ringen um ein eigenes Selbst, das einem Menschen Stärke gibt, das eigene Selbst und gleichzeitig den Kontakt zu einer auf vielen Ebenen unwirklichen gesellschaftlichen Realität aufrechtzuerhalten. Aus solchem Ringen kommt auch Freude an der eigenen Lebendigkeit und der des anderen. Indem solch ein Selbst jedoch nicht ein abstraktes Bild eines Image ist, sondern ein Zustand der Verbundenheit mit den eigenen Gefühlen sowie mit denen der anderen, kann es nur bestehen, wenn das Ringen um solche Verbundenheit lebendig bleibt. […] Deswegen ist Lebendigkeit Wandel, nicht Beständigkeit: deshalb kommt Stabilität aus der Fähigkeit, Spannungen zu ertragen; und kein einzelner ist immun gegen die verführerischen Versprechungen einer konfliktfreien Existenz.“ (Arno Gruen aus: Der Verrat am Selbst. Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau. DTV-Verlag, 2009 S. 151)
Anmerkung: Natürlich sehe ich diese Auseinandersetzung nicht so im Absoluten Schwarz/Weiß und in einer Polarisierung zwischen Entweder/Oder und Wertung im Sinne eines Hierarchisieren, was besser oder schlechter sei – dies mag ich mir überhaupt nicht anmassen und unterliegt nicht meiner Einschätzung und Intention.